Lucas
wenigstens war es kühl und still. Ich setzte mich hin und wartete, dass es in meinem Kopf aufhörte zu kreisen, dann versuchte ich mir zu überlegen, was zu tun war. Jamie und Angel . . . Jamie und Angel . . . Jamie und Angel . . . Wo gingen sie hin? Was hatten sie vor? Hatte das was zu bedeuten? Sollte ich jemandem Bescheid sagen? Würde es Lucas helfen, wenn ich jemandem Bescheid sagte? War das, was ich gesehen hatte, wichtig?
Ich konnte nicht mehr geradeaus denken. Es gab zu viele Unbekannte, zu viele Ängste und hässliche Bilder, um mit ihnen fertig zu werden. Ich konnte einfach nichts mehr zu Ende denken. Schließlich entschied ich, dass es wahrscheinlich nichts zu bedeuten hatte. Sie schlichen bloß fort, um sich ein bisschen in den Sanddünen zu befummeln. Was ging das mich an? Am besten vergaß ich es einfach.
Ich glaube, unter den gegebenen Umständen war es keine schlechte Entscheidung. Wahrscheinlich war sie nicht gerade die
objektivste
, die ich je getroffen habe, doch das ist sicher verständlich. Trotzdem kann ich nicht gegen das Gefühl an, dass ich, wenn ich etwas bedachter gewesen wäre, vielleicht bemerkt hätte . . . vielleicht etwas anderes getan hätte . . . vielleicht dafür hätte sorgen können, dass . . . Wenn ich es gewusst hätte . . . hätte ich versucht es zu verhindern . . . ich hätte es versucht. Aber das war einfach nicht der Fall. Ich wusste es nicht. Wie denn auch?
Ich tat einfach, was ich für richtig hielt.
Ich dachte, es wäre
richtig
.
Als das Fest zu Ende ging, dachte ich, das Schlimmste sei geschafft für diesen Tag. Ich hoffte es jedenfalls. Mir war heiß, ich war müde, meine Füße taten weh, meine Kleider waren schmutzig und feucht von Schweiß und meine Gefühle waren so durcheinander, dass ich schon gar nicht mehr wusste, was es hieß, sich normal zu fühlen. Außerdem hatte ich Hunger. Das Einzige, was ich im Lauf des Tages zu mir genommen hatte, waren ein paar Tüten Chips und ungefähr zwölf Dosen billige Cola mit zu viel Kohlensäure. Mein Mund war ganz süß und klebrig und mein Bauch voller Luft. Alles in allem fühlte ich mich zum Wegwerfen – und sah wahrscheinlich auch genauso aus. Mrs Reed dagegen war noch immer taufrisch. Sie plauderte unentwegt, lächelte, summte und sang vor sich hin, ihr Kleid war immer noch sauber und trocken und ihre Haut wirkte so kühl, wie man es sich nur wünschen kann . . . es war zum Verrücktwerden. Simon ging mir langsam auch auf die Nerven. Seit dem Vorfall mit Jamie hatte er kaum ein Wort gesagt. Er war nicht fies oder so, er schmollte nur. Ich konnte ihm das nicht verdenken. Wahrscheinlich fühlte er sich ausgeschlossen, abgeschnitten, vielleicht war es ihm sogar peinlich. Ich hätte mir nur gewünscht, er würde etwas
tun
statt unentwegt so
duldsam
zu sein. Ich wollte, dass er mich beschimpfte, mir böse Blicke zuwarf oder sonst was . . . irgendwas. Doch das brachte er nicht fertig, er setzte stattdessen nur seine brave Trauermiene auf. Es machte mich wahnsinnig.
Gegen Viertel vor sechs hatte ich die Nase gestrichen voll. Während Simon und Mrs Reed eifrig versuchten einen Mann mit Bart davon zu überzeugen, dass sie nicht
grundsätzlich
gegen Wohnwagen-Camping seien, verzog ich mich nachhinten und setzte mich auf einen Hocker, entschlossen, dort sitzen zu bleiben, bis der Tag vorüber wäre. Ein paar Lieferwagen parkten bereits am Straßenrand und die Standbesitzer begannen ihren Kram einzupacken. Überall stapelten sich leere Kisten und die ganze Fahrbahn war zugemüllt mit Essensresten. Weggeworfener Abfall raschelte in der Abendbrise. Obwohl die meisten Besucher inzwischen fort waren, hingen doch immer noch ein paar Unentwegte herum. Sie sahen müde und schlaff aus, manche auch etwas betrunken. Aber das war schon in Ordnung. Nur noch eine kurze Fahrt nach Hause, dann konnte ich endlich ein kühles Bad nehmen und in Frieden einfach bloß daliegen. Anschließend was essen, dazu ein großes Glas Wasser mit Eis, und dann früh ins Bett. Kühle, frische Laken, eine nächtliche Brise, die zum Fenster hereinwehte, ausschlafen, schön und lang, bis weit in den Morgen. Glückseligkeit. Morgen war Sonntag. Es würde genug Zeit sein, mit Dominic zu reden und mit Dad wieder alles ins Reine zu bringen. Genug Zeit . . .
Das Rufen kam aus Richtung des Strands. Zuerst dachte ich, es wären nur ein paar betrunkene Typen, die ordentlich auf die Pauke hauten, und ich machte mir nicht mal die Mühe aufzuschauen. Ich
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