Lucas
»Ich wusste nicht, wer Sie waren.«
»Wen hast du denn erwartet, verdammt noch mal – King Kong?«
Der Anflug eines Lächelns zuckte auf Lucas’ Mund. »Ich bin ein bisschen schreckhaft heute Nacht.«
»Schreckhaft? Herr im Himmel . . .« Dad trat von der Wand und schaute sich um. Sein Körper schwankte noch leicht vom Schock. Ein schneller Blick zu mir, dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder auf Lucas. »Wie bist du hier reingekommen, verflucht? Die Türen sind alle abgeschlossen . . . Wo ist der Hund? Wenn du ihm was getan hast –«
Lucas nickte zur Tür hin.
Dad schaute herum. Deefer saß ruhig in der Tür und sah Lucas bewundernd an.
»Du sollst doch
bellen
«, sagte Dad zu ihm. »Was ist denn los mit dir?«
Deefer ignorierte ihn.
Dad wandte sich wieder Lucas zu und betrachtete ihn von oben bis unten. »Steck das weg«, sagte er kalt und wies auf das Messer. Lucas schob es unter seinen Gürtel. Dad trat auf ihn zu. Er war jetzt nicht mehr schockiert, sondern nur verärgert und müde. »Hör zu, mein Junge«, sagte er leise. »Ich hab viel von dir gehört. Einiges davon gefällt mir, anderes nicht. Meine Tochter scheint dir zu vertrauen und normalerweise reicht mir das. Aber in diesem Fall verhält es sich anders. Und zwar so anders, wie es überhaupt nur geht. Verstehst du, was ich meine?«
»Ich bin nicht Ihr Junge«, sagte Lucas ruhig und schaute ihm in die Augen.
Dads Gesicht straffte sich. Einen Moment dachte ich, er würde Lucas schlagen. Aber dann nickte er langsam und sagte: »Okay. Du hast Recht. Entschuldigung. Und jetzt sag mir, ob du verstehst, was ich meine.«
»Ich verstehe.«
»Gut.« Er sah ihn einen Augenblick an, dann drehte er sich um und wandte sich an Dom. »Geh zurück in dein Zimmer.«
»Aber ich wollte –«
»Verdirb es nicht, Dom. Geh einfach wieder in dein Zimmer und versuch ein bisschen Schlaf zu kriegen. Du wirst ihn wahrscheinlich noch brauchen.«
»Okay.«
Dad sah ihm hinterher, dann wandte er sich wieder Lucas zu. »Du gehst und wartest draußen.«
Lucas ging ohne ein Wort hinaus. Er hatte mich nicht mehr angesehen, seit das Licht plötzlich anging, auch jetzt beim Hinausgehen schaute er mich nicht an.
Dad schloss die Tür, kam zu mir und setzte sich aufs Bett. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Ich nickte.
»Was ist los?«, fragte er. »Was macht er hier?«
»Sie sind hinter ihm her, Dad . . . er weiß nicht mehr, wohin.«
»Wie lange war er schon da?«
»Ein paar Minuten.«
»Ganz sicher?«
»Ich bin einfach aufgewacht –«
»Hat er irgendwas versucht –«
»Nein!
Natürlich
nicht. Wie kannst du –«
»Ich bin dein Vater«, sagte er, als würde das alles beantworten . . . was es wahrscheinlich auch tat. »Hör mir zu, Cait, ich weiß, du behältst in letzter Zeit alles für dich – nein, lass mich ausreden. Ich sage nichts gegen dich, sondern erzähl dir nur, wie es ist. Bitte hör mir einen Moment zu. Es ist wichtig. Okay?« Ich nickte und er fuhr fort. »Ich verstehe, wenn du mir etwas nicht sagst. Das ist normal. Ich sage nicht, dass es mich
freut
, denn das tut es wirklich nicht, aber ich kann damit leben. Ich vertraue dir – selbst wenn du Fehler machst. Das ist schon in Ordnung. Es ist nicht schlimm, Fehler zu machen. Du darfst nur keine Angst davor haben. Nimm einfachalles so, wie es kommt – versuch es nicht rückgängig zu machen, mach dir keine Vorwürfe, grübel nicht lange drüber nach. Nimm es einfach hin, lern davon, mach etwas Positives draus und bewahr es in seiner Reinheit. Das Einzige, was zählt, ist, dass du deine eigenen Regeln kennst. Denn wenn du sie nicht kennst, wirst du nicht merken, wann du sie brichst.« Er lehnte sich zurück und schaute zur Decke. Dann schniefte er und sah mich an. »Ergibt irgendwas davon einen Sinn für dich?«
»Nicht wirklich.«
Er lächelte. »Das hab ich mir gedacht.«
Ich hielt seine Hand. »Ich versuche zu tun, was ich für richtig halte, Dad. Aber es geht immer schief.«
»Ich weiß.«
»Ja?«
Er zog Lucas’ geschnitzte Figur unter meiner Decke vor und klopfte damit gegen meinen Handrücken. »Du bist nicht die Einzige, die dem Wind gelauscht hat, weißt du?« Ich starrte ihn an. Er stand auf und band seinen Morgenrock fest, dann warf er mir meinen Bademantel zu, der an der Tür hing. »Zieh ihn an und dann ruf ich den einsamen Ranger wieder rein. Wir müssen uns mal ganz ernsthaft unterhalten.«
Zwanzig
E ine Viertelstunde später saßen Dad und ich
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