Lucas
einmal erkannte ich, dass es Angel Dean war. Tait hatte ihr den Arm um die Schulter gelegt und machte an ihrem Top rum. Sie kicherte und versuchte es immer wieder zurechtzuziehen. Tait trank aus einer Halbliterflasche Whiskey. Immer wieder bot er sie auch Angel an, er zwang ihr die Flasche förmlich auf und sie nahm sie auch jedes Mal.« Lucas hörte auf zu reden und drehte sich eine neue Zigarette.
»Ist sie mit ihm
mitgegangen
?«, fragte Dad. »Ich meine, glaubst du, dass sie selber dort sein wollte?«
Lucas zündete die Zigarette an und wandte sich vom Fenster ab. »Ich glaub nicht, dass sie wusste, was sie wollte. Vermutlichwar ihr nur klar, was
er
wollte, und vielleicht glaubte sie, dass es ihr auch Spaß machen würde. Aber dann brach die Wirklichkeit herein und ich denke mir, auf einmal merkte sie, dass es kein Spiel mehr war. Keine Foto-Lovestory. Nichts mehr mit Knutschen und Schmusen. Es war etwas anderes, etwas Kaltes, Schmutziges, Schäbiges.« Er sog den Zigarettenrauch in den Mund und schaute Dad an. »Sie bekam Angst.«
Dad wusste nicht, was er sagen sollte.
Lucas blies den Rauch wieder aus und starrte in die Ferne. Die Luft um ihn herum war aufgeladen mit Dunkelheit und mein Zimmer von der gleichen geisterhaften Stille erfüllt, die ich empfunden hatte, als ich ihn zum ersten Mal sah. Der Wind hatte plötzlich aufgehört und ein blasses Licht schimmerte aus dem Morgenhimmel. Meine Haut war kalt. Ich stand da, am Strand, beim Bunker. Ich stand da. Im schmutzigen Dunkel. Ich konnte es riechen: schales Bier, Whiskey, Urin, Angst. Ich konnte den feuchten Sand unter meinen Füßen spüren und ich konnte mit Lucas’ Augen sehen. Ich sah Haut, Glas, Stoff, Haare, Hände, Finger, Konturen, zitterndes Fleisch, sich öffnende Münder, ein zerstörtes Gesicht, starr vor Verlangen . . .
Dad klickte mit seinem Feuerzeug und die Vorstellung löste sich auf. Mein Blick kehrte zu mir zurück. Ich saß auf der Bettkante und starrte Lucas an, während er Dad anstarrte. Ich sah alles so, wie es war. Den Jungen, den Mann, die Wände, das Fenster, gerolltes Laub, das im Wind herumwirbelte. Ich sah, was ich sehen konnte, sonst nichts.
Dad sprach leise. »Die Zeit vergeht, Lucas. Sag mir, was passiert ist.«
Lucas setzte sich erschöpft in den Sessel. Er betrachtete die glühende Spitze seiner Zigarette und seine Stimme klang auf einmal kalt. »Sie fingen an . . . er drückte sie auf die Matratze und sie schloss die Augen. Sie wehrte sich nicht, sie schrie nicht oder was auch immer. Sie
genoss
es auch nicht . . . aber . . . ich weiß nicht. Er zwang sie nicht. Nicht körperlich. Und sie sagte nicht Nein . . . nicht dass er sie gefragt hätte . . .« Er senkte den Kopf und starrte zu Boden. »Ich konnte es nicht länger mit ansehen. Ich zog mich in die Salzwiesen zurück, kauerte mich nieder und wartete ab. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen.« Er hielt wieder inne und kratzte sich die Narbe am Handgelenk, dann fuhr er fort. »Eine Weile war es still. Dann, nach ungefähr zehn Minuten, hörte ich wieder seine Stimme. Erst leise, dann lauter, schließlich schrie er sie richtig an und warf ihr lauter schlimme Wörter an den Kopf. Sie fing an zu weinen, er schrie noch weiter, dann hörte ich einen Schlag und einen spitzen Schrei, danach war wieder alles still. Ich wollte gerade aufstehen, da sah ich ihn herauskommen. Er zog sein Hemd an und torkelte umher. Mit rotem Gesicht, betrunken, und glasigem Blick. Ich sank zurück und beobachtete, wie er verschwand, dann betrat ich den Bunker, um zu sehen, wie es ihr ging.«
»Welchen Weg schlug er ein?«, fragte Dad.
»Den am Strand lang.«
»Dieser alte Mann, den du am Strand hattest sitzen sehen – müsste er ihn bemerkt haben?«
»Wahrscheinlich – er saß unten in der kleinen Sandmulde, wo bei Ebbe das Wasser zurückbleibt. Wissen Sie, wo ich meine?«
Dad nickte. »Dann müsste Tait also an ihm vorbeigekommen sein.«
»Wenn er nicht durch die Salzwiesen zu der schmalen Bucht zurück ist.«
»Was war mit
Angel
?«, fragte ich ungeduldig. »Hast du sie gesehen?«
Lucas nickte. »Ja, sie war okay. Mitgenommen. Ein bisschen betrunken und verheult, voll Selbstmitleid und sehr, sehr wütend. Aber ansonsten war alles in Ordnung mit ihr.«
»
Was?
Sie war nicht–«
»Tait hat sie nicht verletzt . . . jedenfalls nicht ernsthaft. Er hat ihr ins Gesicht geschlagen, aber er ist nicht mit dem Messer auf sie los. Ich bin nicht mal sicher, ob er sie . . . du
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