Lucas
weißt schon. Und selbst wenn er es getan hat, schien sie das nicht sonderlich aufzuregen. Zumindest wollte sie, dass ich das glaube.«
»Du hast mit ihr gesprochen?«
»Ich hab sie gefragt, ob alles okay ist.«
»Was hat sie gesagt?«
»Sie meinte, ich solle gehen.«
»Gehen?«
»So was in der Art.«
»Was hast du gemacht?«
»Ich bin gegangen.«
Ich sah Dad an und wartete, dass er etwas sagte, aber er blieb stumm. Ich sah Lucas an. Er starrte forschend aus dem Fenster.
»Habt ihr das gehört?«, sagte er plötzlich.
»Was?«
»Horcht mal«, flüsterte er.
Ich konnte nichts hören. »Da ist nichts –«
»Schhh.«
Unten bellte Deefer.
»Da«, sagte Lucas. »Habt ihr es gehört?«
»Das war Deefer«, sagte ich.
»Das nicht – da war irgendwas unten am Weg.« Er spähte hinaus in die Dunkelheit. »Ein metallisches Geräusch . . .« Eine Weile starrte er hinaus in die Nacht, dann drehte er sich um und redete weiter. Es lag auf einmal eine ungewohnte Dringlichkeit in seiner Stimme. »Wie auch immer, nachdem ich mit Angel gesprochen hatte, verließ ich den Bunker und lief zurück Richtung Wald. Es hatte keinen Sinn mehr, aufs Fest zu gehen. Angel würde nur allzu bald dorthin zurückkehren und ich konnte mir ausmalen, was sie erzählen würde. Sie hatte mich am Bunker gesehen, sie hatte Spuren von Schlägen im Gesicht, meine Fußspuren waren überall. Ich hätte keine fünf Minuten überlebt.« Er sah zu mir herüber. Sein Gesicht wirkte hager und alt – das Blau seiner Augen erlosch. Er sah wieder aus dem Fenster. »Ich war ungefähr auf halbem Weg durchs Watt, als ich mich umschaute und jemand die Salzwiesen Richtung Bunker durchqueren sah. Eine junge Frau, ein Mädchen. Siebzehn, vielleicht achtzehn.«
»Weißt du, wer es war?«, fragte Dad.
Lucas wich der Frage aus. »Sie hatte lange schwarze Haare, eine Sportsonnenbrille auf und einen sehr selbstsicheren Gang. Sie trug einen schwarzen Badeanzug unter einem weitenweißen Hemd und hatte etwas dabei, eine Art Schultertasche. Sie muss den Weg an der schmalen Bucht entlanggekommen sein.«
»Hat sie dich gesehen?«
»Ich glaube, ja. Sie blieb einen Augenblick stehen und schaute herüber in meine Richtung, dann lief sie weiter in den Bunker. Zuerst dachte ich, sie wäre vielleicht eine Freundin von Angel und hielte ein bisschen ein Auge auf sie oder so . . . aber dazu war sie eigentlich nicht der Typ. Irgendwas war mit ihr . . . etwas Beunruhigendes.« Er ging zum Vorhang und spähte den Weg hinunter, dann drehte er sich um und sah uns an. »Ich versuchte zurückzulaufen, aber es war Flut und im Watt stand das Wasser bereits ziemlich hoch, deshalb kam ich nur langsam voran. Als ich endlich durch und wieder auf dem Strand angekommen war, hatte das Mädchen im Badeanzug den Bunker schon wieder verlassen und lief zurück zu dem Pfad an der schmalen Bucht entlang. Als ich die Salzwiesen erreichte, war sie verschwunden.« Er starrte ins Nichts. »Sie war es, nicht Tait – sie hat es getan. Sie hat Angel überfallen.«
»Bist du sicher?«, fragte Dad sanftmütig nach.
Lucas nickte. »Als ich runter in den Bunker ging, lag Angel auf dem Boden und hatte den Kopf in den Händen vergraben . . . sie war blutüberströmt. Ich hab nach ihr gesehen. Sie verlor immer wieder das Bewusstsein und ihr Puls war schwach, aber ihr Atem ging. Ich säuberte ihren Mund und drehte sie in die stabile Seitenlage, dann versuchte ich, so weit es möglich war, das Blut zu stoppen –«
»
Du
hast ihr Bein abgebunden?«, sagte Dad.
Er nickte wieder. »Während ich damit zugange war, hörte ich draußen jemanden herumschnüffeln. Einen Moment dachte ich, es wär Tait oder das Mädchen im Badeanzug, deshalb versteckte ich mich hinten im Dunkel des Bunkers. Auf einmal streckte der alte Mann vom Strand seinen Kopf durch den Spalt in der Wand. Als er Angel sah, wäre er vor Schreck fast gestorben.«
»Hat er dich gesehen?«
Lucas schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht. Es war ziemlich dunkel da drinnen und er hat sich nicht lange dort rumgedrückt. Er kam herunter in den Bunker und warf einen kurzen Blick auf Angel, aber sobald er das ganze Blut sah, rannte er fort in Richtung Dorf.«
»Was hast du dann gemacht?«
Er zuckte die Schultern. »Nicht viel . . . ich hab für das Mädchen getan, was ich konnte – sie warm gehalten, den Puls gefühlt, die Blutung aufgehalten –, und dann, nach einer Weile, hörte ich Sie und Mr Patel den Strand entlangkommen und mit
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