Lucifer - Traeger des Lichts
hinauf auf die rosarot dahineilenden Wolken des Himmels, unbeobachtet von allen. Wenige lebten so hoch oben - sie mochten die Kälte und die dünne Luft nicht. Aber Sam gefiel es hier. Hier oben war er allein und konnte tun, was er wollte. Und was er wollte, war, etwas über sein verborgenes Geburtsrecht zu erfahren.
»Nein, schämen sollst du dich nie. Doch es gibt Zwietracht im Himmel. Häuser streiten gegen Häuser, Fürsten gegen Fürsten. Jehova ist daran beteiligt, und darum bist du, als sein Diener, es auch. Doch wenn sie wüssten, was du bist, wärest du noch in weit höherem Maße darin verwickelt - vielleicht sogar in Gefahr.«
Er spielte mit Feuer, während sie Gedanken austauschten, flocht es durch seine Finger wie bei einem Fadenspiel, schuf Muster in der Luft >Warum? Haben sich Chaos und Feuer nicht in der Hölle gepaart? Ist nicht Liebe eine untreue Königin, und sind nicht ihre illegitimen Nachkommen überall? Ist nicht Magie heilig und mit einer Wohnstatt im Himmel bedacht, wenngleich nicht am Hof der Zeit? Aber immer noch im Himmel und unberührbar als eine der großen Inkarnierten?<
>All dies ist wahr. Doch obgleich ich heilig bin und du, als mein Sohn, es damit auch wärest, würde es nicht lange dauern, bis die Leute fragten, wer dein Vater ist.<
>Und wer ist mein Vater?<
Magie antwortete nicht. Diese Frage beantwortete sie nie.
Er war nun seit fast fünf Stunden unterwegs. In einem Versuch, die Reisemüdigkeit zu bekämpfen, hatte er ein Rätselheft gekauft, das er auf den längeren Strecken zwischen den Bahnhöfen mit der gedankenlosen Sorgfalt eines Mannes ausfüllte, den Langeweile und Müßiggang plagen. Wenn die Aufgaben zu einfach wurden und er zehn Unterschiede zwischen Bild A .und B auf einen Blick erfassen konnte, glitten seine Gedanken wieder zurück in die Vergangenheit Zurück zu jenem bitteren Tag, als Jehova die Hand seiner Engel ergriffen und Sam die wahre Identität seines Vaters erfahren hatte.
Es hatte sich monatelang angekündigt Jehova hatte jedem Erzengel eine lange Liste von Aufgaben gegeben, die von dem kleinsten Anstupsen der Gedanken eines Stammeskriegers bis zur Brandstiftung in einem wohl bewachten Palast reichten. Wir werden die Sterblichen rein machen, hatte er gesagt. Wir werden sie zu Unsrigen machen.
Niemand hatte den Plan wirklich verstanden. Jehova benutzte sein großes Geschick, den Glauben zu manipulieren; das war alles, worüber sie sich einig waren. Irgendwie wollte er den Glauben der Sterblichen auf Erden reformieren. Niemand zweifelte daran, dass es ihm gelingen würde, und niemand stellte seine Absichten in Frage.
Außer Sam. Er hatte sich gefragt, hatte sich Gedanken gemacht über die vielen, vielen möglichen Folgen dieses Vorhabens. Man hatte es das Eden-Projekt genannt.
Auch seine Mutter hatte sich beunruhigt gezeigt, als er ihr davon erzählte. >Dein Herr hat große Ideen, und das ist gefährlich. Umso mehr, weil sie einer gerechten Sache dienen sollen.< Diejenigen, die dem Lebensweg der Magie folgten, hatten oft durch die Hand derer gelitten, die einer gerechten Sache dienten.
Und so hatten sie vor dem Weg zur Erde gestanden. Jehova hatte stolz und eindrucksvoll auf das Tor geblickt. »Meine getreuen Diener, wir sind im Begriff, eine Welt zu verändern.«
Sam hatte einen angemessenen Ausdruck von Ehrfurcht in sein Gesicht gelegt, als die Erzengel sich einer nach dem anderen bei den Händen fassten und eine Kette bildeten.
Er war der Letzte in der Reihe.
»Lasst nicht los!«, hatte Jehova gewarnt. »Folgt mir. Wenn ihr loslasst, werdet ihr den Weg verlieren. Euch wird der Weltenpfad dunkel und still erscheinen. Für mich ist er voller Licht und Geräusche. Versucht nicht, mich abzulenken. Wenn ihr einander loslasst, werdet ihr auch mich verlieren, und wenn wir zwischen den Welten wandeln, bin ich alles, was euch vor einem üblen Ende bewahrt.«
Sie hatten eine Kette gebildet. Sam ging als Letzter hinter Michael. Dann hatte Jehova sie durch das Tor geführt, und sie waren ihm stumm und getreu nachgefolgt.
Sam hatte sofort gemerkt, dass etwas nicht stimmte. Nicht mit Jehova und auch nicht mit den anderen Erzengeln, sondern mit ihm. Er sah nicht die angekündigte Dunkelheit, noch hörte er das erwartete Nichts. Er sah einen weißen Nebel, in dem Schatten lauerten, vernahm geflüsterte Lockungen von verlorenen Geistern, spürte am äußersten Rand des Bewusstseins eine verblassende Welt hinter und eine aufscheinende Welt vor sich. Die
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