Lucy & Olivia - Das Vampirgeheimnis
um unter Lucys Bett nachzuschauen. Als sie den Bettüberwurf aus schwarzem Samt hochhob, brauchte sie einen Moment, bis ihr klar wurde, dass da unten nichts weiter als der glänzende Sarg ihrer Schwester stand.
Sie sprang auf. »Natürlich liegt es nicht da unten«, sagte sie und verdrehte die Augen, wie Lucy es vermutlich getan hätte. Brendan sah sie bloß stirnrunzelnd an. Sie war sich nicht sicher, ob er amüsiert war, misstrauisch oder besorgt, dass seine Freundin jetzt vollkommen den Verstand verloren hatte.
Olivia sah sich verzweifelt in Lucys Zimmer um. Hier herrschte das totale Chaos – der Fußboden war dermaßen mit schwarzen Schuhen und Kleidern übersät, dass der Teppich kaum noch zu sehen war. Das Bett war ein Nest aus Taschen, Kissen und Kosmetikartikeln und Lucys Schreibtisch sah aus, als wäre eine Lawine aus Papier und CDs darüber niedergegangen. Olivia suchte jetzt schon seit 20 Minuten nach Brendans Buch.
Alles, was sie wusste, war, dass sie ihn aus dem Haus haben musste, bevor Lucy zurückkam. Er findet bestimmt alles heraus, wenn er zwei Lucys nebeneinander sieht, dachte sie, und das wäre gar nicht gut!
Es war schon stressig genug gewesen, überhaupt bis in Lucys Kellerzimmer vorzudringen. Olivia hatte drei verschiedene Schlüssel ausprobieren müssen, bis sie endlich den richtigen gefunden hatte, mit dem sich die Haustür öffnen ließ. Und dann hatte sie unbehaglich daneben gestanden, während Brendan und Lucys Dad sich angeregt in der Eingangshalle unterhielten.
Plötzlich entdeckte Olivia die Ecke eines Buchs, die unter einem grauen Handtuch auf dem Boden hervorlugte. Sie stürzte darauf zu und zog das triefende Handtuch zur Seite. Zum Vorschein kam ein voll gesogenes Taschenbuch. Olivia war noch nie im Leben so erleichtert gewesen, ein ruiniertes Buch zu sehen. »Oh nein!«, heuchelte sie, als sie es zu Brendan hinübertrug. »Es ist nass geworden.« Sie hielt ihm das Buch mit einem entschuldigenden Stirnrunzeln entgegen.
Brendan warf einen Blick drauf.
»Lucy«, sagte er, »das ist das Sozialkundebuch. Ich brauche das Englischbuch, das ich dir letzte Woche gegeben habe.«
Ich bin tot, dachte Olivia. Sie musste Brendans Buch schnell finden oder er würde dahinterkommen, dass etwas nicht stimmte – wenn er das nicht schon längst getan hatte!
Lucy bog um eine Ecke und warf einen unglücklichen Blick auf ihr Haus, das sich auf dem Hügel am Ende der Sackgasse abzeichnete. Sie bemerkte sofort, dass Toby Decker vor Charlotte Browns Haus herumlungerte, das direkt neben ihrem stand.
Lucy duckte sich hinter eine Eiche.
Als sie vorsichtig dahinter hervorspähte, sah sie, wie Toby über den Bordstein balancierte, als wäre es ein Schwebebalken. Er sprang herunter und blickte hoffnungsvoll zu Lucys Haus hoch, dann sprang er wieder hinauf und schwankte in die andere Richtung.
Hat er immer noch nicht aufgegeben?, dachte Lucy. Ehrlich gesagt hatte sie heute Nachmittag schon genug Enttäuschungen erlebt. Sie war ganz sicher nicht in der Stimmung, ewig durch die Gegend zu latschen und darauf zu warten, dass Toby Decker sich verzog.
Leider waren die Alternativen genauso null-negativ. Wenn Toby sah, wie sie, als Olivia verkleidet, ins Haus ging, würde er sicher Verdacht schöpfen. Und wenn Lucy sich vorher wieder in ihr normales Ich verwandelte, würde Toby vielleicht dahinterkommen, dass er den ganzen Nachmittag einer Hochstaplerin auf der Spur gewesen war. Noch schlimmer, vielleicht lief er auch zu Serena Star und erzählte ihr, dass ganze Heerscharen identischer Königinnen der Verdammten in Franklin Grove umherstreiften.
So’n Biss!, ärgerte sich Lucy und lehnte sich an den Baumstamm.
Charlotte Brown war Lucys eine Nachbarin, auf der anderen Seite wohnten die Carltons. Ihr Besitz zog sich
den Hügel hoch bis zu einer Reihe Sträucher, welche die beiden Grundstücke voneinander trennte. Lucy hatte keine andere Wahl. Es war riskant, aber sie beschloss zu versuchen, sich hinter dem Haus der Carltons den Berg raufzuschleichen und dann zwischen den Sträuchern hindurch in ihren eigenen Garten zu kriechen. So konnte sie durch ihr Zimmerfenster klettern, ohne dass Toby sie sah. Auf dem Weg gab es nicht viele Bäume, hinter denen sie sich verstecken konnte, aber sie verfügte ja schließlich über vampirische Schnelligkeit.
Lucy spähte erneut hinter dem Baum hervor. Sie hielt den Atem an und wartete darauf, dass Toby ihr bei seiner Tour auf dem Bordstein den Rücken zukehren
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