Luderplatz: Roman (German Edition)
werden dann toxikologisch untersucht.«
»Ist sie denn vergiftet worden?«
Metzger grinste breit. »Wir sind hier nicht beim Münster-Tatort. Ich glaube eher nicht.«
»Glauben oder wissen?«
»Glauben. Da sind wir Katholiken ganz groß drin. Nein im Ernst. Wahrscheinlich ist sie einfach gestorben.«
»Aber sie war doch noch so jung?«
»Schon. Aber das kommt häufiger vor, als man denkt. Das Herz hört einfach auf zu schlagen, das Hirn erleidet einen Schlaganfall. Wir haben auf jeden Fall keinen Grund, etwas anderes zu glauben.«
Viktoria blätterte weiter in ihren Notizen. »Ah, ich habe mir aufgeschrieben, dass Sie auch ihre Fingernägel geschnitten haben. Wozu?«
»Unter ihren Fingernägeln könnte sich fremde DNA befinden. Die sichern wir so. Also: keine Leichenmaniküre.« Viktoria lachte, und Mario versuchte, es ihr gleichzutun – es gelang ihm nur nicht so recht. Der Kratzer auf seiner rechten Schulter brannte. Nana hatte ihre scharfen Fingernägel rosa lackiert, erinnerte er sich plötzlich.
»Und die Leiche. Kommt die jetzt wieder in die Kühlung? Ich meine, falls doch noch jemandem etwas einfällt.«
»Mit der Leiche sind wir fertig. Die kann jetzt bestattet werden.«
»Ohne dass Sie wissen, woran sie gestorben ist?«
»Ja genau.«
»Und wenn doch ein Verdachtsmoment auftaucht …«
»Dann haben wir unsere Präparate in der Asservatenkammer und untersuchen sie noch einmal.«
»Also, zusammengefasst ist Nana Oppenkamp Ihrer Meinung nach eines natürlichen Todes gestorben.«
Metzger nickte.
Mario griff erleichtert nach seinem iPhone. Es hatte fröhlich in seiner Hosentasche vibriert, jetzt stellte er es aus.
»Wow. Darf ich mal?« Metzger erhob sich von seinem Chefsessel und schaute gebannt auf Marios Superhandy.
Viktoria schüttelte innerlich den Kopf. Unglaublich. Männer und Technik. Jetzt würde gleich eines dieser Gespräche beginnen, von denen sie nichts, aber auch gar nichts verstand.
Schwupp – schon lagen zwei Phones nebeneinander auf dem kleinen Glastisch. Viktoria räumte ihren Sofaplatz, und Metzger hockte sich neben Mario. Die Männer sprachen über Apps, Funktionen, Speicherstärken, Datenpower und das eingebaute GPS -Gerät.
»Ich liebe mein Ding«, sagte Metzger und klang dabei wie ein Zwölfjähriger, der auf Actionheld macht. »Ich cache immer mit meinen Kindern, wenn sie am Wochenende bei mir sind.«
Viktoria schrieb auf. Getrennt lebend . Dann fragte sie höflich nach: »Cachen?«
»Ja, Geocaching. Das ist so eine Art moderne Schatzsuche. Schauen Sie mal hier.«
Er drehte sein glänzendes iPhone-Display in ihre Richtung und zeigte auf eine Zahlen-Buchstaben-Kombination. »Hier sind die Koordinaten. Da irgendwo finden Sie einen Schatz. Und der Spaß liegt darin, ihn zu suchen. Der hier lag hinter einem Findling in der Nähe der Schleuse.«
Mario nickte. Er kannte das Spiel, hatte es aber noch nie ausprobiert. Viktoria spürte ein seltsames Kribbeln in ihrem Nacken. Sie kramte in ihrer dunklen Tasche, zog ihr einfaches Handy ohne Apps und eingebautes GPS , dafür aber mit einem dicken Kratzer auf dem Display aus der Tasche und suchte in ihren eingegangenen Kurzmitteilungen. Da! N5201.257/E745.874. Sie zeigte Metzger die SMS , die sie am Abend zuvor von einer unbekannten Nummer bekommen und wegen der Ankunft von Kai beinahe vergessen hatte.
Metzger grinste. »Ach, Sie auch? Die Koordinaten können gar nicht weit von hier entfernt sein. Na, dann viel Spaß beim Suchen.«
Erdkunde war nie ihr Fach gewesen. Für Viktoria waren Landkarten weiße Flecken, die sich einfach nicht in ihrem Hirn festsetzen konnten. Selbst die Lage der Himmelsrichtungen konnte sie sich nur mithilfe des albernen Hilfssatzes Nie ohne Seife waschen merken. N wie Norden, O wie Osten, S wie Süden und W wie Westen – die Anfangsbuchstaben lösten die Eselsbrücke auf. Stand sie aber auf dem Balkon ihrer Dachgeschosswohnung in Berlin-Kreuzberg und schaute der Sonne bei einem besonders schönen Untergang zu, war ihr nicht sofort klar, dass dort, wo es so schön rotviolett schimmerte, der Westen war. Und jetzt musste sie sich also mit Koordinaten auseinandersetzen, mit Längen-und Breitengraden, die ihr und Mario den Weg zu einem Schatz weisen sollten. Inzwischen hatte sie begriffen, dass Geocaching ein weitverbreiteter Volkssport war. Für sie ein absolutes Rätsel. Wie konnten erwachsene Menschen daran Spaß haben, kleine Schachteln und Dosen mit wertlosem Inhalt zu suchen und zu verstecken?
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