Luderplatz: Roman (German Edition)
suchen Sie denn? Und was wollen Sie von ihm?«
»Wir suchen einen Florian, der vielleicht Hilfe braucht …« Die Augenbrauen zuckten noch ein Stückchen höher. Nein, diese Nonne würde sich nicht mit Geschwafel zufriedengeben. Viktoria musste mit der Wahrheit herausrücken. Also tat sie es. Sie erzählte von der Basketballsammelkarte, von dem Fall Florian in Berlin und davon, dass sie eigentlich nur beweisen wollte, dass es reiner Zufall war, dass es eben noch einen Florian gab, der mit dem Berliner Jungen gar nichts zu tun hätte.
Die Schwester hörte aufmerksam zu und schüttelte den Kopf. »Zufälle nennen es die einen. Ich sage Gottes Wille. Sie sollten sich dem stellen, meine Liebe.«
Viktoria lachte, doch es klang bitter. »Wie stellen?«
»Letztlich ist es ganz egal, wer Ihnen die Nachricht in die Schatzkiste gelegt hat. Entscheidend ist, dass sie etwas in Ihnen ausgelöst hat, das Sie noch nicht verarbeitet haben.« Viktoria schluckte.
»Sie müssen den Jungen suchen – ob Sie es wollen oder nicht.«
Viktorias Mund klappte auf.
»Im Übrigen kann ich Ihnen versichern, dass es im Moment nur einen einzigen Florian auf unserer Schule gibt – der allerdings braucht wirklich Hilfe.« Viktorias Herz begann schneller zu schlagen. »Es ist nämlich unser Schulleiter, Dr. Florian Schneider, der wirklich viel zu tun hat.« Die Nonne grinste. »Und der ist Fußballfan, hat mit Basketball gar nichts am Hut, und dass er Nachrichten in Schatzkisten legt, kann ich mir einfach nicht vorstellen.« Sie schaute die beiden Reporter noch einmal gütig an, so, als könnten sie nichts dafür, dass sie so dumm waren, wie sie waren. Dann ging sie.
Und auch wenn Viktoria es nicht sehen konnte, wusste sie, dass die graue Nonne vor sich hin grinste.
»Glauben Sie an Gott, Harry?«
Der Wirt war gerade dabei, die Biergläser mit einem Handtuch trocken zu reiben. Er machte eine Pause, überlegte und sagte: »Vielleicht.« Dann trocknete er weiter. »Und Sie, Frau Latell?«
Viktoria schaute von ihrem Laptop auf. »Weiß nicht.«
Wie sehr sich die Dinge doch änderten. Vor ein paar Monaten hätte sie noch ohne zu zögern Nein gesagt.
7. Kapitel
Isa Joss wunderte sich darüber, dass sie sich darüber wunderte, wie klein er war. Sie hatte eigentlich eine gute Vorstellung von Längen und Breiten und Gewichten, von allen Maßeinheiten. Ihre Küchenwaage stand nur dumm herum, weil sie sie nie benutzte, und wenn sie mit Wiliam Möbel kaufen ging, brauchte sie keinen Zollstock. Sie konnte gut schätzen, sie wusste, ob das Regal in die Nische neben ihrer Garderobe passen würde oder nicht. Doch bei dem Baby, das ihre Zimmernachbarin jetzt in den Armen hielt, versagte ihr Urteilsvermögen. Es war dreiundvierzig Zentimeter lang und wog zweitausenddreihundert Gramm. Hätte Isa schätzen müssen, sie hätte es nicht gekonnt. »Federleicht und winziger als winzig«, hätte sie gesagt. Bei einem Baby versagte ihr Instinkt. Oder aber, er siegte. Denn wieso will man einen Menschen in Maßeinheiten einteilen? Wieso soll schon ein Baby einer DIN -Norm entsprechen? Sie verdrängte den Gedanken an ihr Baby. Es entsprach auch nicht der DIN -Norm. Die linke Hand … Sie blinzelte ein paar Tränen weg und betrachtete die portugiesische Familie und wie sie sich freute.
Fabio, der älteste Sohn, war auch wieder da.
Isa winkte ihn zu sich. »Hier«, sagte sie und drückte ihm einen Fünfzigeuroschein in die Hand. »Danke für deine Hilfe.«
Er lächelte schüchtern und etwas beschämt. Dann ging er zurück. Zu seiner Mutter und seinem kleinen Bruder. Ganz vorsichtig nahm er ihn auf den Arm.
Er beschützt ihn, dachte Isa. Er beschützt ihn.
»Komm, setz dich zu uns.«
Viktoria ignorierte Marios halbherzige Aufforderung. Er saß mit Ludger, den er bei ihrem letzten Besuch in Westbevern kennengelernt hatte, und noch zwei Westbeveranern an einem Tisch und würfelte. Doch Viktoria war nicht nach Schocken, so hieß das Spiel, und nicht nach Schnaps und Bier. Sie hatte eine Idee. Im Internet hatte sie die Geocachingseite gefunden und suchte nun nach Informationen über den Schatz von Haus Langen. Tatsächlich fand sie Einträge von Cachern, also Schatzsuchern. Sie beschrieben, wie sie das Kästchen gefunden und was sie entnommen hatten und wie ihnen das Versteck – ein Hohlraum zwischen Baumwurzeln – gefallen hatte. Die Bewertungen reichten von coole Location bis viel zu leicht zu finden . Als Absender fand sie Fantasie-namen, Spitznamen
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