Ludlum Robert - Covert 01
Seitenstraße, wo die Blätter der Ahornbäume sich flammend rot gefärbt hatten. Das ruhig gelegene, zweistöckige Haus war mit Schindeln aus jenem Holz der Ostküste gedeckt, dessen Farbe weder dunkelbraun noch dunkelgrau ist, sondern irgendwo dazwischen liegt, weil es jahrelang tapfer den Elementen getrotzt hat.
Auch Dr. Liu war ein Mann mit einem vom Wetter gegerbten Gesicht. Seine äußere Erscheinung war weit davon entfernt, dem Klischeebild eines unergründlichen chinesischen Höflings zu entsprechen - er war groß und muskulös. Zwar erinnerten seine Augen und sein herabhängender Schnurrbart an einen asketischen Mandarin, aber sein hervorspringendes Kinn, die vollen Wangen und die rötliche Hautfarbe ließen eher an den Kapitän eines Walfangschiffs aus New England denken. Er war chinesischer und europäischer Abstammung und die Wände seiner Bibliothek gaben darüber Aufschluss. Dort hingen zwei Porträtfotos, auf denen offensichtlich seine Eltern abgebildet waren. Das eine zeigte eine große, blonde, athletische Frau mit Seglermütze und einer Angelrute in den Händen, das andere einen vornehmen Mann im traditionellen Gewand eines chinesischen Mandarins, der auf dem Bug eines Schiffs saß. Auf einer Seite des Fotos hingen präparierte Sportfische, auf der anderen historische Adelssiegel.
Dr. Liu hatte gerade gefrühstückt und bat sie, in der Bibliothek Platz zu nehmen. »Womit kann ich Ihnen behilflich sein? Am Telefon haben Sie den Namen Sophia Russel erwähnt. Ich kann mich gut an sie erinnern. Sie war eine großartige Studentin, ganz davon zu schweigen, dass sie auch verdammt gut aussah. Nur bei ihr war ich ein einziges Mal versucht, das Schicksal durch eine Affäre herauszufordern.« Er ließ sich in einen Ohrensessel fallen. »Wie auch immer - wie geht’s ihr?«
Weil Marty seine Medikamente genommen hatte, begann er mit einer seiner langsam und methodisch vorgebrachten Antworten. »Nun, Sophia Russel ist…«
»Schon gut, Marty«, unterbrach ihn Peter ungeduldig. »Das ist mein Job.« Howell blickte den emeritierten Professor an. »Sie ist tot, Dr. Liu. Es tut mir Leid, es so offen heraus sagen zu müssen, aber wir hoffen, dass Sie uns helfen können. Sie ist dem neuen Virus zum Opfer gefallen.«
»Tot?« Der Professor war sichtlich geschockt. »Wann ist sie denn gestorben? Wie ist das möglich?« Er blickte zwischen Peter und Marty hin und her und schüttelte zuerst langsam, dann energisch den Kopf. »Aber sie war noch so jung!« Er zögerte, als sähe er die lebhafte Sophia vor seinem geistigen Auge. Dann begriff er die volle Tragweite von Peters Sätzen. »Der neue Virus? Das ist eine globale Katastrophe. Ich habe Enkel und bin zu Tode verängstigt. Dieser Virus könnte die halbe Menschheit auslöschen. Was wird getan, um ihn aufzuhalten? Können Sie mir das sagen?«
»Alle arbeiten rund um die Uhr«, antwortete Howell beruhigend. »Dr. Russel war für die Erforschung des Virus zuständig.«
»Dann hat sie sich bei der Arbeit infiziert?«
»Möglicherweise. Das ist eine der Fragen, die wir zu klären versuchen.«
Das Gesicht des Professors verzog sich grimmig. »Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass ich Ihnen irgendwie helfen kann, werde es aber versuchen. Sagen Sie, was Sie wissen wollen.«
Peter reichte ihm ein Blatt Papier. »Dieser Bericht stammt vom Prinz-Leopold-Institut für Tropenkrankheiten. Lesen Sie ihn bitte und sagen Sie uns dann, ob er in irgendeinem Zusammenhang zu Dr. Russels Studien in Princeton steht. Lehrveranstaltungen, Exkursionen, Forschungsprojekte, Freunde sagen Sie uns alles, was Ihnen einfällt.«
Professor Liu nickte. Er nahm sich Zeit für die Lektüre und las den Bericht mehrfach. Oft hielt er inne, um nachzudenken und sich zu erinnern. Eine alte Wanduhr tickte laut.
Schließlich schüttelte er den Kopf. »Ich sehe hier nichts, was mit Sophias Arbeit und Studien zusammenhängen könnte. Sie hatte sich auf Genetik spezialisiert, und soweit ich weiß, hat sie nie eine Exkursion nach Südamerika gemacht. Giscours hat nicht in Princeton studiert und Sophia nicht in Europa. Ich habe keine Ahnung, wie sie sich begegnet sein sollten.« Er schürzte die Lippen und blickte erneut auf den Bericht. Dann hob er den Kopf. »Moment, ich erinnere mich an eine Reise, die sie vor ihrem Abschluss unternommen hat.« Er zögerte. »Sie hat nur beiläufig bei einem Treffen außerhalb der Arbeit davon erzählt.« Der Professor seufzte. »Leider kann ich Ihnen nicht mehr darüber
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