Ludlum Robert - Covert 02
rasiermesserscharfe Spitze schnitt den Stoff von Berias Hosenbein auf und bohrte sich einen halben Zentimeter tief ins Fleisch. Beria wirbelte herum, sein Stilett glitzerte in der fahlen Morgensonne. Aber Kirov war bereits zwei Schritte entfernt. Beria entdeckte ihn, und seine Augen weiteten sich entsetzt. Das Gesicht aus Moskau! Der russische General aus dem Bahnhofsgebäude!
Beria machte einen Schritt auf Kirov zu, erreichte ihn aber nicht. Sein rechtes Bein verkrampfte sich und knickte ein. Das Stilett fiel ihm aus der Hand, als er vornüber kippte. Das Gift an der Schirmspitze jagte durch seine Adern, machte seinen Blick verschwommen, nahm seinen Muskeln die Kraft.
Mit glasigen Augen wurde Beria undeutlich bewusst, dass zwei starke Arme ihn stützten. Kirov hielt ihn, lächelte, machte ihm in serbischer Sprache klar, was für ein unartiger Junge er gewesen sei und dass er überall nach ihm gesucht habe. Beria machte den Mund auf, brachte aber nur ein unartikuliertes Gurgeln hervor. Jetzt zog Kirov ihn zu sich heran, flüsterte etwas. Er spürte, wie Kirovs Lippen über seine Wange strichen, dann hörte er einen Ausruf in serbischer Sprache - die Beleidigung eines Passanten, der ihn als Schwulen bezeichnete.
»Komm schon, Liebster«, sagte Kirov leise. »Wir bringen dich hier weg, bevor es unangenehm wird.«
Beria drehte sich herum und sah, wie einige alte Männer mit obszönen Gesten auf ihn wiesen. Jetzt war Smith neben ihm, stützte seine andere Schulter. Beria versuchte die Füße zu bewegen, konnte sie aber nur kraftlos hinter sich herziehen. Sein Kopf fiel schlaff nach hinten, und er sah das Gemäuer des Torbogens von unten. Außerhalb des kleinen Platzes toste der Verkehr wie das Rauschen eines mächtigen Wasserfalls. Kirov zog die Tür eines blauen Lieferwagens auf und holte einen zusammenklappbaren Rollstuhl heraus. Hände an seinen Schultern zwangen Beria, darauf Platz zu nehmen; Lederriemen schlangen sich um seine Hand- und Fußgelenke. Er hörte das Summen eines Elektromotors und erkannte, dass der Rollstuhl auf eine Rampe gerollt worden war, die jetzt nach oben fuhr. Dann schob Kirov den Stuhl in den Lieferwagen und blockierte die Räder. Plötzlich verschwand alles, mit Ausnahme der kalten blauen Augen des Russen.
»Du weißt gar nicht, welches Glück du hast, du Mörderschwein!«
Und dann hörte er nichts mehr.
Die hintere Terrasse von Peter Howells Refugium am Ufer der Chesapeake Bay überblickte einen völlig unbewegt daliegenden Teich, den ein kleiner, sich dahinschlängelnder Bach speiste. Es war später Nachmittag, Beria befand sich jetzt seit fast acht Stunden in ihrer Gewalt. Die warme Sonne schien Smith aufs Gesicht; er lehnte sich zurück und sah zwei Falken zu, die am Himmel kreisten und auf Beute warteten. Hinter sich hörte er Kirovs Schritte auf dem Bretterboden.
Smith hatte keine Ahnung, wem dieser rustikale Zufluchtsort wirklich gehörte, aber wie Peter Howell ihm in Venedig gesagt hatte, war er sowohl völlig abgelegen als auch sehr gut ausgestattet. Das Blockhaus war sauber und bequem und verfügte über einen reichlich bestückten Vorratsraum. Unter den Dielenbrettern des Wohnraums lagen unter einer Falltür Waffen, Verbandszeug und andere wesentliche Dinge verborgen, was darauf hindeutete, dass der Besitzer des Hauses zweifellos in der gleichen Branche wie Howell tätig war. Und draußen, in einer Art Werkzeugschuppen, gab es noch etwas anderes.
»Es ist Zeit, General.«
»Wir sollten ihn noch eine Weile allein lassen, Jon.
Schließlich hat keiner von uns Lust, das noch einmal zu tun.«
»Ich habe dieselben medizinischen Artikel wie Sie gelesen. Die meisten Männer sind nach sechs Stunden erledigt.«
»Beria ist nicht ›die meisten Männer‹.«
Smith schlenderte über die kleine Terrasse und lehnte
sich an das Geländer. Sie hatten beide von dem Augenblick an, wo sie die Operation geplant hatten, gewusst, dass Beria, wenn sie ihn gefangen nahmen, nicht reden würde. Nicht ohne Druck. Und dieser Druck durfte nichts so Primitives wie Elektroschock oder Gummiknüppel beinhalten. Es gab höchst wirksame chemische Präparate, die in der richtigen Kombination äußerst effektiv und verlässlich waren. Aber sie hatten auch ihre Nachteile. Man konnte nie sicher sein, ob derjenige, dem man sie verabreichte, nicht in unerwarteter Weise darauf reagierte, einen Schock davontrug oder noch Schlimmeres. Mit Beria konnten sie dieses Risiko nicht eingehen. Sein Wille musste klar und
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