Lügen & Liebhaber
seine Gefühle. Daß er mich begehrte und mir sagte, ich sei die einzige Frau in seinem Leben. Und vielleicht machte das nicht mal einen Unterschied.
Ich war wie auf Entzug. Spielte bei Karl die Rolle des artigen Mädchens, kochte für ihn, ging selten und dann äußerst gesittet mit ihm ins Bett. Abends spielten wir auf seiner Dachterrasse alberne Kartenspiele. Ich gab vor, jemand zu sein, der ich nicht war, und gierte insgeheim nach anderen Männern.
Dabei lief die Arbeit gar nicht mal schlecht an. Zwar war der Montmartre-Porno unterstes Niveau, aber ich verstand mich mit den Kollegen, Regisseur Messerschmidt war einigermaßen umgänglich, und alles in allem stellte ich mich für den Anfang sogar recht geschickt an. Zwar litt ich kurz vor Feierabend jedesmal an temporärer Übelkeit, aber das gab sich, sobald ich auf Karls Sonnenterrasse saß und mir erst mal ein Glas Wein genehmigte. Es war ein Ritual, das ich mit einer mir sonst fremden Pingeligkeit einhielt, und da Karl normalerweise sowieso später von der Arbeit kam, hatte ich immer noch genügend Zeit, mich danach an den Herd zu schwingen. Ich gab mir jede erdenkliche Mühe, etwas Nettes zusammenzubrutzeln, doch meistens mußte Karl meinen Fraß noch mit Peperoncini, Ingwer oder einem Stück Butter aufpeppen, damit er überhaupt genießbar wurde.
So betrachtet führten wir ein beschauliches Zusammenleben ohne Nervereien und indiskrete Fragen, aber auch ohne Höhepunkte. Die holte ich mir, indem ich täglich auf Karls Kosten mit Toni telefonierte und mir einmal in einer Art Delirium sieben Paar Schuhe – zum Teil reduziert – bei »Riccardo Cartillone« in der Oranienburger Straße kaufte. Das machte alles in allem rund tausend Mark, was ich mir zu diesem Zeitpunkt, da noch kein Honorar auf meinem Konto eingegangen war, überhauptnicht leisten konnte. Und da man mir bisher auch keinen Überziehungskredit gewährt hatte, blieb mir nichts anderes übrig, als Karl anzupumpen. Zum Glück half er mir aus der Patsche. Wie immer war Karl zur Stelle, wenn es mal brenzlig wurde.
Es fiel mir ziemlich leicht, Skip nicht zu kontaktieren. Seit unserem letzten Mal hatte ich außer einer Postkarte von der Synagoge, auf der nichts weiter als »Schöne Grüße« stand, keine Nachricht von ihm erhalten, und außerdem wußte er ja nicht mal, wo ich steckte. Vielleicht hatte mein Desinteresse damit zu tun, daß der Sex mit Skip – soweit ich mich erinnerte – ziemlich lasch gewesen war. Zwar kannte Skip sich aus, er gehörte wirklich nicht in die Kategorie mieser Liebhaber , aber irgendwie hatte es nicht richtig hingehauen. Als hätte ich mir ein opulentes Mahl reingewürgt, ohne auch nur den geringsten Appetit zu haben.
In meiner dritten Berlinwoche bekam ich Streß mit Messerschmidt. Ausnahmsweise hatte ich eine relativ große Textmenge zu bewältigen, aber die war auf unglaublich verquaste Weise ins Deutsche übertragen worden und zudem nicht auf den Mund getextet.
Es ging nicht. Ich konnte die Dialoge nicht sprechen. Und als Messerschmidt mich zum drittenmal anschnauzte, ich sei ja wohl der größte anzunehmende Unfall in der Geschichte der Synchronsprecherinnen, kurz gesagt G AU , verlor ich die Beherrschung.
»Welcher Riesenidiot hat diesen Unsinn denn verbrochen?« keifte ich. »Das Buch gehört definitiv in den Mülleimer!«
Stille. Messerschmidt starrte mich durch die Glasscheibe an. Der Tonmeister kicherte.
Ich schaute Max an, mit dem ich eben noch synchron gestöhnt hatte, aber der klaubte imaginäre Staubflusen von seinem Hemd.
Die böse Vorahnung bestätigte sich, als Messerschmidt aus seiner Erstarrung erwachte und mich in den Regieraum winkte.
»Zur Stelle, Chef.« Ich tat möglichst locker.
»Sylvie – was machst du, wenn du ein Buch bekommst?« fragte Messerschmidt übertrieben freundlich.
»Ich lerne den Text«, flötete ich zurück, obwohl ich lieber gesagt hätte: Hör zu, du Arsch. Du bist nicht mein Lehrer. Also was führst du dich so auf?
»Und wirfst du ab und zu auch einen Blick aufs Deckblatt?« fuhr Messerschmidt fort, indem er seine Stimme anhob. »Da steht normalerweise der Name des Riesenidioten, der die Scheiße verzapft hat!«
Messerschmidt hielt mir das Buch hin, auf dem dick und fett zu lesen war: Buch und Regie: Freddie Messerschmidt. Na, bravo!
»Tut mir leid, aber die Texte sind wirklich nicht auf den Mund zu sprechen.«
Ich machte immer noch einen auf lässig, aber in Wirklichkeit schlotterte ich vor Angst, gefeuert zu
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