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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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hat. Ist Zoé zu Hause einfach nur die gute Tochter, genau wie Marit für ihre eigenen Eltern? Ein liebes, zuverlässiges Mädchen? Trotz ihrer abgewrackten Lederjacke und der Piercings?
    »Haben Sie es schon auf ihrem Handy probiert?«, erkundigt sie sich und bereut es sofort. Als wäre Rena Berger zu bescheuert, um auf das Naheliegendste zu kommen.
    »Das ist ausgeschaltet. Ich will jetzt mit deinem Bruder reden.«
    »Okay.«
    Wie vermutet, ist es nicht leicht, ihn zu wecken. Marit muss über das Durcheinander aus Klamotten, Computerzeitschriften und halb leeren 1 , 5 -Liter-Mezzomix-Flaschen auf dem Boden hinwegsteigen, um zum Bett zu gelangen, weil er auf ihr Rufen hin keine Reaktion zeigt. Erst als sie kräftig seine Schulter rüttelt, schlägt er die Augen auf und blinzelt in ihre Richtung, einen verwirrten Ausdruck im Gesicht. Sobald er seine Schwester erkennt, faucht er sie an.
    »Verpiss dich.«
    Von Ansgars schlaftrunkenem Atem angewidert, weicht Marit einen Schritt zurück, hält ihm mit ausgestrecktem Arm das Telefon hin. »Frau Berger will dich unbedingt sprechen. Zoé ist gestern nicht nach Hause gekommen.«
    »Was?«
    »Frau Berger für dich.«
    Auf einen Schlag ist Ansgar hellwach. Ohne ein weiteres Wort reißt er Marit das Telefon aus der Hand, stürzt aus dem Zimmer und knallt die Tür zu.
    »Arschloch.«
    Während Marit die Rollläden hochzieht und das Fenster weit aufreißt, überfällt sie ein Anflug von Übelkeit und sie redet sich ein, das käme bloß vom Sauerstoffmangel in dem miefigen Raum.
    Punkt halb elf holt Marit in ihrem fabrikneuen blauen Mini wie geplant Franka ab. Es geht in die Kreisstadt, die Freundin will einen neuen Bikini oder Badeanzug für Australien kaufen, etwas Extravagantes, was auch immer damit gemeint sein soll. Da sie letzte Woche bereits im Hamburger Karoviertel nichts finden konnte, was ihren Vorstellungen entspricht, hält Marit die Erfolgsaussichten des Einkaufsbummels für verschwindend gering, die Kreisstadt ist nicht gerade ein Mode- und Design-Mekka. H & M, C & A, ein paar spießige Boutiquen mit Wollsachen und Filzkleidern für wohlhabende Ökotussis – das war’s. Dennoch kommt ihr die Verabredung gelegen. Shopping mit Franka macht Spaß: Abgesehen vom Geldausgeben geht es ihnen im Grunde ums Lästern. Marit hält sich nicht für bösartig, aber hin und wieder tut es einfach gut, die eigene Gehässigkeit auszutesten und sich über alles und jeden das Maul zu zerreißen. Am liebsten über schräge Mitschülerinnen, die ihnen zufällig über den Weg laufen. Über Mädchen wie Zoé.
    Marit ertappt sich dabei, wie sie unwillkürlich langsam fährt und nach Ansgars Freundin Ausschau hält, indem sie das sattgrüne Gras links und rechts der Landstraße absucht oder innerhalb der Ortschaften jeden einzelnen Fußgänger anstarrt. Weder das eine noch das andere ergibt einen Sinn, dennoch kann sie nicht damit aufhören. Eine Radkappe. Plastikflaschen. Ein überfahrenes Tier, nach der Fellfarbe zu urteilen wahrscheinlich ein Kaninchen. Als Franka die Musik laut aufdreht – Delta-Radio, ihr gemeinsamer Lieblingssender –, fühlt Marit sich bei ihrer geistlosen Spurensuche gestört. Sie hat das Bedürfnis, sich zu konzentrieren. Aber worauf?
    »Kannst du das leiser stellen? Das nervt.«
    »Seit wann das denn?«
    »Seit heute.«
    Franka tut ihr den Gefallen, hakt aber nach. »Geht’s dir nicht gut?«
    »Doch, wieso? Nur weil ich keine Lust auf Musik habe?«
    »Du weißt genau warum.«
    »Weiß ich nicht.«
    »Du bist total komisch. Schleichst hier lang und glotzt stumpf auf die Straße, redest nicht mit mir. Du hast doch irgendwas. Streit mit Jan?«
    »Quatsch.«
    Seltsamerweise schreckt Marit davor zurück, der Freundin von der Sache mit Zoé zu berichten, dabei wäre es eigentlich nur logisch: Franka könnte Zoé zufällig begegnet sein. Frau Berger wäre sicher dankbar für jeden Hinweis. Doch Marit ist egoistisch, will sich lieber ablenken, in der Hoffnung, dass sich alles von allein aufklären wird. Gleichzeitig hat sie ein mulmiges Gefühl.
    Davon kann wenig später in der Stadt allerdings keine Rede mehr sein, Marits Plan geht auf, wenn auch nur vorübergehend: Sie albern herum, machen sich über die Leute lustig und probieren alles Mögliche an. Franka schwatzt ihr ein Kleid auf, das sie garantiert nie tragen wird: zu schrill, zu kurz, insgesamt zu gewagt. Andererseits: Wer weiß, was an der Uni sein wird? Der Spiegel bei H & M zeigt eine angehende Studentin,
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