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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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Stiel über die Fließbänder laufen.
    »Ob ich in zehn Jahren genauso bin wie er?«, fragt Marit.
    »Ganz bestimmt.«
    Sie sitzen auf der Terrasse und trinken in Ruhe ihren Milchkaffee aus. Marits Blick geht in den Garten, wo die Hortensien und Kletterrosen am Pavillon in voller Blüte stehen. Der Rasensprenger ist eingeschaltet und das feuchte Gras verströmt einen frischen Duft.
    Früher war Hilke Pauli, eine studierte Chemikerin, in die Geschäftsführung der Eisfabrik involviert, doch in letzter Zeit widmet sie sich in erster Linie dem Garten oder ehrenamtlichen Projekten wie der Elbe-Tafel. Marit ist stolz auf ihre Mutter, obgleich sie denkt, dass ihr selbst ein solches Leben nicht reichen würde. Sie ist fasziniert von der Vorstellung, das Familienunternehmen, gegründet vom Urgroßvater noch vor dem Krieg, könnte später einmal unter ihrer Leitung ins Ausland expandieren. Der beste Coup wäre, wenn ihr Eis künftig in ganz Europa zu haben wäre. Wen interessiert dann noch das Wetter an der Niederelbe?
    Als sie gemeinsam den Tisch abräumen, klingelt das Telefon und Marit nimmt das Gespräch bereitwillig an, froh, sich um die Hausarbeit drücken zu können. Am anderen Ende der Leitung holt jemand tief Luft, dann meldet sich eine Frauenstimme so erstickt, dass der Name nicht zu verstehen ist.
    »Wer ist da bitte?«
    »Rena Berger.«
    Zoés Mutter. Marit sieht sie vor sich: eine zierliche Frau, die figurbetonte Kaschmirpullover trägt und nie ungeschminkt aus dem Haus geht. Kurze, braune Haare, dunkle Augen. Alle paar Wochen taucht ein Foto von ihr in der Lokalzeitung auf, im Hintergrund ein neues Aquarell oder Ölgemälde. Zoés Vater, ein kleiner, dickbäuchiger Bildhauer namens Hardy Jespersen, wird viel seltener abgelichtet als seine Lebensgefährtin, obgleich er im Gegensatz zu ihr einige bedeutende Kunstpreise gewonnen haben soll. Behauptet Helene in ihrer Eigenschaft als angehende Journalistin und freie Mitarbeiterin des heimischen Käseblatts.
    »Guten Morgen, Frau Berger. Möchten Sie meinen Bruder sprechen?«
    »Ist Zoé bei ihm?«
    »Nicht dass ich wüsste.«
    Gestern war Sonntag, da haben sie mittags zu sechst im Garten gegrillt: die ganze Familie, inklusive Großeltern väterlicherseits. Jan musste arbeiten und konnte nicht kommen. Von Zoé war nicht die Rede. Ansgar hat fast nichts gegessen und ist ziemlich früh in seinem Zimmer verschwunden. Allein. Es würde Marit wundern, wenn er später noch Besuch bekommen hätte.
    »Ich kann gern in Ansgars Zimmer nachsehen«, schlägt sie vor, obschon Zoé ihres Wissens noch nie bei ihnen übernachtet hat, genauso wenig wie Jan. Ihre Eltern sind in dieser Hinsicht altmodisch. »Ich schätze, mein Bruder schläft noch.«
    »Bitte schau nach.« Rena Berger klingt, als wäre sie den Tränen nah. »Zoé ist nämlich seit gestern nicht mehr nach Hause gekommen.«
    »Okay. Augenblick.« Während Marit den Weg ins Obergeschoss zurücklegt, behält sie das Telefon am Ohr, weiß aber nicht, was sie sagen soll, und ist daher gezwungen, dem angestrengten Atmen von Frau Berger zu lauschen, die ebenfalls schweigt. Marit hätte sie für lässiger gehalten. Ist doch bestimmt nicht das erste Mal, dass Zoé über Nacht wegbleibt, ohne Bescheid zu sagen. Vielleicht haben sie ja gemeinsame Pläne für den Tag, irgendetwas Wichtiges. Würde Zoé ähnlich sehen, ihre Mutter sitzen zu lassen.
    Ansgars Zimmertür ist geschlossen. Marit öffnet sie einen Spalt und steckt den Kopf in die verbrauchte Luft. Drinnen ist es stockfinster, die Rollläden sperren den Tag aus.
    »Ansgar?«
    Keine Antwort.
    Marit schaltet das Deckenlicht ein. Das reinste Chaos wie gewöhnlich, obwohl Frau Buschke, ihre Haushaltshilfe, zweimal pro Woche auch diesen Raum sauber macht. Auf dem Bett dreht sich ihr Bruder murrend zur Wand, ohne richtig wach zu werden. Er ist allein.
    »Frau Berger? Sind Sie noch dran?«
    »Natürlich bin ich dran.«
    »Zoé ist nicht hier.«
    »Und dein Bruder?«
    »Der schon. Aber er schläft.«
    »Dann weck ihn.«
    Von dem plötzlichen Befehlston provoziert, schaltet Marit automatisch auf stur: »Es sind Ferien, da schläft Ansgar mindestens bis mittags. Den krieg ich jetzt gar nicht wach. Er kann Sie ja nachher zurückrufen. Ich sag ihm Bescheid.«
    »Nein, weck ihn auf. Sofort. Ich muss mit ihm reden. Hör zu, Marit, das ist kein Spaß. Zoé hat so etwas noch nie gemacht«, drängt Frau Berger und Marit fragt sich, wie wohl das Bild aussehen mag, das sie von ihrer Tochter
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