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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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Marit ihr Auto an der Straße ab und geht ins Haus.
    Lautes Stimmengewirr aus der Küche. Eigentlich wollte sie nur kurz ihre Einkäufe verstauen, sich umziehen und mit dem Rad zum Strand fahren, Franka und die anderen treffen. Sie hätte Lust auf Frisbee. Für den Abend ist ein Lagerfeuer geplant, worauf Marit sich vor allem deswegen freut, weil Jan ausnahmsweise mal nicht arbeiten muss. Bislang hat sie niemand bemerkt. Was also hindert sie daran, ihren Plan in die Tat umzusetzen? Warum muss sie so blöd sein und schnurstracks in die Küche stapfen, wo nichts als Ärger auf sie wartet. Bei ihrem Eintreten verstummt das Gespräch augenblicklich.
    »Hallo«, sagt sie zögerlich. Ihre Eltern und Herr Jespersen, Zoés Vater, sitzen am Tisch vor leeren Gläsern und einer ungeöffneten Flasche Mineralwasser, Ansgar steht mitten im Raum, die Hände in den Taschen seiner Jeans versenkt. Wie ein allzu schüchterner Sänger in Erwartung des Urteils einer Jury.
    »Was ist denn hier los?«
    »Zoé wird vermisst«, sagt Marits Mutter. Sie macht einen betroffenen Eindruck.
    »Immer noch?«
    »Du weißt davon?«
    »Ja, ich habe heute Morgen mit Frau Berger telefoniert.« Marit hat sofort ein schlechtes Gewissen, weil sie die Angelegenheit für sich behalten hat. »Hat sie sich inzwischen nicht gemeldet?«
    Zoés Vater schüttelt den Kopf. Er ist ungefähr so alt wie ihre eigenen Eltern, und das ist auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Während Winfried und Hilke Pauli nach Marits Ansicht attraktiv, aber dabei ziemlich normal aussehen und ordentliche Klamotten tragen, ist Herr Jespersen mit seinem wirren, grau melierten Haarschopf auf diese gewollt intellektuelle Weise schmuddelig, wie manche ihrer Lehrer. Seine Augen sind gerötet, als hätte er geweint. »Wir haben gehofft, dass Ansgar uns weiterhelfen kann«, murmelt er.
    »Und?« Marit schaut den Bruder an. Die Art, wie er ihrem Blick ausweicht, hat etwas Provozierendes. Er schweigt und lässt seine Mutter für sich antworten: »Ansgar weiß nichts.«
    »Oder er will uns nichts sagen«, sagt Zoés Vater.
    Obgleich der Mann ihr leidtut, empfindet Marit seine Anwesenheit als lästig.
    »Herr Jespersen, bitte. Das bringt uns nicht weiter. Wir sollten nicht noch mehr Zeit verlieren.« Winfried Pauli reißt das Kommando an sich, wie er es bei Problemen gewohnt ist. Alles andere ist ihm zu umständlich. Innerhalb der nächsten zwanzig Minuten stellt er einen Suchtrupp zusammen: Mitarbeiter seiner Firma, die gerade die Tagesschicht hinter sich gebracht haben, dazu gute Bekannte aus dem Schützenverein, der Kirchengemeinde und der freiwilligen Feuerwehr, ausschließlich Männer, was Marit ziemlich machohaft findet. Hardy Jespersens Einwand, die Polizei habe ihnen geraten, bis zum nächsten Morgen abzuwarten, fegt er mit derselben wegwerfenden Handbewegung beiseite wie die Bitte seiner Kinder, an der Suchaktion beteiligt zu werden. Ansgar wirkt erleichtert.
    Marit hingegen hat nicht vor, sich so leicht abwimmeln zu lassen. Als die Männer das Haus verlassen, um zum Treffpunkt zu fahren, läuft sie ihrem Vater nach, steigt kurzerhand auf der Beifahrerseite in den Geländewagen.
    »Marit, was soll denn das? Ich hab’s eilig.«
    »Ich will mit.«
    »Kommt nicht infrage.«
    »Ich bin volljährig. Und ich könnte nützlich sein, schließlich kenne ich alle Plätze, wo Schüler rumhängen.«
    Winfried Pauli lacht und startet den Motor. »Und du denkst, ich nicht? Glaub mir, es sind mit Sicherheit immer noch dieselben wie vor fünfundzwanzig Jahren, als deine Mutter und ich in dem Alter waren.«
    Könnte hinkommen. Marit erspart sich eine Antwort und beobachtet, wie Herr Jespersen in seinem Kombi vom Hof rollt.
    »Wieso bist du eigentlich so versessen darauf, mit uns zu suchen? Das wird kein Spaß. Du magst Zoé doch nicht einmal besonders – oder habe ich da was nicht mitbekommen?«
    Schulterzucken. Marit wünschte, sie könnte die Frage beantworten, aber sie ist sich selbst nicht über ihre Motive im Klaren. Neugier? Besorgnis? Versucht sie, das mangelhafte Engagement ihres Bruders wettzumachen? Oder kommt sie schlicht und einfach nach ihrem Vater, der sich für alles Mögliche zuständig fühlt, was im Dorf geschieht?
    »Ich will nur helfen«, sagt sie schließlich und hört, wie lahm das klingt.
    »Dann sprich noch mal mit Ansgar, ob er wirklich nichts weiß. Sollte Zoé abgehauen sein, weiß er bestimmt darüber Bescheid und hat versprochen, den Mund zu halten. Das halte ich übrigens
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