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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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für sehr wahrscheinlich. Falls Zoé allerdings etwas zugestoßen ist, werde ich auf keinen Fall zulassen, dass ausgerechnet du diejenige bist, die sie findet. Du willst das auch nicht wirklich, glaub mir. Das ist nichts für dich. Und jetzt raus hier, Marit. Ich muss los.«
    Ein vermisstes Mädchen. Freiwillige, die das Dorf durchkämmen. Die Neuigkeiten machen schneller die Runde, als Marit sie verarbeiten kann. Da es mittlerweile recht viele Eingeweihte gibt, tauchen im Internet alle paar Minuten neue Gerüchte auf, kurz nach sieben ruft ein Redakteur der Lokalzeitung bei ihnen an, bald darauf meldet sich die Bild-Zeitung, beide Journalisten wollen mit Winfried Pauli sprechen und werden von dessen Frau abgewimmelt. Marit versucht, dem Wunsch ihres Vaters gemäß, Ansgar auszuhorchen, kommt allerdings nicht weit, da er sich in seinem Zimmer eingeschlossen hat, weshalb ihr Dialog aus Variationen der Sätze »Mach auf« und »Hau ab« besteht und damit endet, dass Ansgar laut Musik aufdreht.
    Später am Strand ist die Stimmung merkwürdig aufgekratzt. Wie an jedem warmen Abend prasseln Lagerfeuer, Einweggrills qualmen, dazu das Murmeln vieler Stimmen, Gitarrengeklimper, weiter entfernt der harte Beat von Rapmusik. Anders als sonst bleiben die einzelnen Grüppchen nicht unter sich, sondern Marit und ihre Freunde werden von allen Seiten mit Fragen bestürmt. Sicher, die meisten sind bestürzt, äußern Mitgefühl für Zoés Eltern, doch da liegt noch etwas anderes in der Luft, ein gewisses Kribbeln. Gier nach Nervenkitzel. Marit steht am Feuer und schweigt sich aus, abgestoßen und mitgerissen zugleich. Während sie beobachtet, wie die Flammen um eine ausrangierte Obstkiste züngeln, zerrt die Frage an ihr, wie folgenschwer es gewesen sein mag, die Eltern nicht gleich morgens um Rat zu bitten. Andernfalls hätte ihr Vater seinen Suchtrupp bereits etliche Stunden früher losschicken können. Was, wenn es entscheidende Stunden waren? Sie hat die Situation falsch eingeschätzt und kommt sich jetzt fahrlässig vor.
    »Hey, willst du abhauen?«, flüstert Jan ihr ins Ohr. Er bleibt hinter Marit stehen, die Arme fest um ihre Hüften geschlungen.
    Sie lehnt sich an ihn. »Keine Ahnung. Das Gerede muss doch irgendwann aufhören.«
    »Es hat gerade erst angefangen. Komm, lass uns einen Spaziergang machen.«
    »Okay.«
    Hand in Hand schlendern sie auf dem Deich entlang, der Himmel über ihnen samtig und sternenklar. Draußen auf der Elbe gleiten die Lichter eines Frachters der offenen See entgegen.
    »Glaubst du, Zoé geht es gut?«
    Schweigen.
    »Jan?«
    Er drückt ihre Hand fester. »Ich hoffe es.«
    Gegen Mitternacht kommt Marit heim. Ihr Vater ist noch auf, sitzt allein auf dem Sofa im Wohnzimmer, ein volles Glas Rotwein in der Hand. Der Großbildfernseher dient als einzige Lichtquelle im Raum, ein bläulich flackerndes Halbdunkel. Es laufen die Spätnachrichten, der Ton ist abgeschaltet.
    »Und?«
    »Wir haben Zoés Fahrrad gefunden. An der Landstraße ganz in der Nähe ihres Hauses, gegen einen Baum gelehnt. Ordentlich verschlossen.«
    Sie müssen vormittags daran vorbeigekommen sein. Marit beißt sich auf die Unterlippe, wie immer, wenn sie durcheinander ist, eine schlechte Angewohnheit, die sie einfach nicht loswird.
    »Und ist das gut oder schlecht?«, fragt sie ihren Vater.
    »Wenn ich das wüsste.«

Möwen
    Ich erinnere mich an alles, was du gesagt hast, jedes Wort. Du warst immer so bedacht darauf, dich in Szene zu setzen, deine Wirkung auf andere zu benutzen, um deine Ziele zu verfolgen. Ich weiß nicht, ob du mit dem Mythos einverstanden wärst, der sich hier in der Gegend fortan um deinen Namen ranken wird. Aber ich schätze schon.
    E ine stickige Nacht. Marit schläft bei offenem Fenster, doch kein Wind geht, nichts regt sich, als hielte das Dorf den Atem an.
    Im Traum ist sie wieder mit dem Auto unterwegs, sucht bis zur Erschöpfung den Straßenrand ab, um schließlich festzustellen, dass nicht Franka, sondern Zoé neben ihr sitzt und sich über sie lustig macht.
    Im Morgengrauen Vogelkonzert. Was sie weckt, ist nicht das Zwitschern der Amseln, ein Schwarm Silbermöwen kreist mit lautem Geschrei über dem Haus, keine Seltenheit so nah an der Küste. Marit verabscheut Möwen, ihre Gier nach Strandabfällen, die Krallen, die riesigen Schnäbel. Sobald jemand sie füttert – und es gibt genug Idioten, die das tun –, werden sie dreist und klauen einem die Fritten aus der Hand. An Schlaf ist nicht mehr zu denken.
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