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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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die sich so etwas durchaus erlauben kann.
    Im Schroeders, direkt am Fleet in der Altstadt gelegen, schmeckt Marit der Milchkaffee nicht, und auch den Blaubeermuffin lässt sie nach wenigen Bissen liegen. In ihrem Kopf flirrt Zoés Name umher wie ein beginnender Kopfschmerz, eine aufdringliche Botschaft von ihrem Unterbewusstsein, das sich nicht länger mit schnöden Ablenkungsmanövern ausbooten lässt. Die Übelkeit vom Vormittag meldet sich zurück.
    »Jetzt sag schon, was los ist«, fordert Franka sie auf.
    Marit erzählt es ihr.
    »Wahrscheinlich hat Ansgar sie erwürgt. Oder ihr mit einer alten Festplatte den Schädel eingeschlagen«, witzelt Franka, nachdem sie seelenruhig zugehört hat, und obwohl ihr Tonfall keinerlei Zweifel daran aufkommen lässt, dass sie die Geschichte ins Lächerliche ziehen will, ist Marit schockiert.
    »Wie kannst du so was sagen?«
    »Du hast die beiden doch am Strand beobachtet. Wäre ja nicht verwunderlich, wenn Ansgar irgendwann ausrastet, so wie Zoé ihn behandelt. Als wir zusammen waren, hatte er auch so seine Aussetzer«, treibt Franka es auf die Spitze, inzwischen nicht mehr ganz so ironisch.
    Die Dreistigkeit dieser Anschuldigung gegen ihren Bruder – ernst gemeint oder nicht – bringt Marit vollends aus der Fassung und sie antwortet mit einer Schärfe, die sie selbst überrascht: »Pass auf, was du sagst.«
    Die ältere Dame am Nachbartisch blickt von ihrem Käsekuchen auf und mustert sie mit unverblümter Neugier.
    »Hey, ich hab einen Scherz gemacht.« Franka hebt abwehrend die Hände.
    »Nicht witzig.«
    »Fand ich schon. Zumindest bis du darauf eingestiegen bist.«
    »Bin ich ja gar nicht.«
    »Doch.«
    »Stimmt nicht.«
    Diese haltlose Antwort bringt Marit ein Kopfschütteln von Franka ein. »Mann, du bist echt durch den Wind heute. Iss mal was.«
    »Keinen Appetit.«
    Franka seufzt. »Dann lass es bleiben.«
    Ein unangenehmes Schweigen entsteht und dehnt sich zwischen ihnen aus. Eine Minute. Zwei. Fünf. Leute gehen vorbei: Mütter mit Kindern, Rentner, eine Gruppe Touristen, die backsteinroten Fachwerkhäuser im Visier. Keine Zoé. Niemand, den man nach ihr fragen könnte. Die alte Frau verliert das Interesse an ihnen und widmet sich wieder dem Kuchen. Marit und Franka trinken ihren Kaffee. Der angebissene Blaubeermuffin lockt Fliegen an, die Marit mit der Hand verscheucht. Da das auf Dauer lästig wird, isst sie das Gebäck schließlich doch noch auf, was Franka eindeutig als Versöhnungsangebot interpretiert.
    »Lass uns wegen dieser kleinen Schlampe nicht länger streiten, okay? Die taucht schon wieder auf. Ich wette, sie treibt sich mit ganz üblen Typen in ihrem ach so grandiosen Hamburg rum.«
    Auch wenn Marit sich sehr wohl bewusst ist, dass sie Zoé unlängst aus voller Überzeugung mit demselben Schimpfwort tituliert hat, verspürt sie nun den Drang, das Mädchen in Schutz zu nehmen. »Ihre Mutter meinte, sie hätte so was noch nie gemacht.«
    Franka zuckt mit den Schultern. »Mütter. Vergiss es. Meine glaubt auch, ich sei ein engelsgleiches Wesen.«
    Marit muss lachen, sie kann nicht anders. Ausgerechnet Frankas Mutter, das Misstrauen in Menschengestalt. Noch in Australien wird sie ihre Tochter mit regelmäßigen Kontrollanrufen traktieren, koste es, was es wolle: Wo steckst du gerade? Was machst du? Mit wem? Ach, kenne ich den? Und so weiter. Absolut peinlich. Dieses Verhalten dürfte Franka darin bestärkt haben, ihr eigenes Leben in größtmöglicher Distanz von daheim zu beginnen.
    »Ich hab keine Ahnung, woran deine Mutter glaubt, aber definitiv nicht an deine Unschuld.«
    »Dabei hat sie keinen Schimmer, wie ich wirklich bin«, sagt Franka mit resigniertem Lächeln, und Marit beeilt sich, ihr beizupflichten, wenngleich sie Frankas Mutter durchaus zutraut, sich eine halbwegs realistische Vorstellung vom Lebenswandel ihrer Tochter zu machen.
    »Genau wie Frau Berger bestimmt nicht das Geringste über Zoé weiß«, ergänzt Franka. »Also mach dir keinen Kopf mehr. Ich sag dir, die kommt wieder. Okay?«
    »Okay.«
    »Ehrlich?«
    »Ja doch.«
    Als Marit nach Hause kommt, steht der Geländewagen ihres Vaters in der Einfahrt, obwohl es noch nicht einmal fünf Uhr ist. Wenn in der Fabrik Hochbetrieb herrscht, macht er normalerweise nicht vor acht Uhr abends Feierabend, eher später. Was noch seltsamer ist: Dahinter parkt ein hässlicher, alter Kombi, der Marit bekannt vorkommt. Könnte sein, dass er Zoés Eltern gehört. Um niemanden zu behindern, stellt
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