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Luegensommer

Titel: Luegensommer
Autoren: Alexandra Kui
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und der Pulli saugen sich voll und machen es ihr auf diese Weise leicht.
    Als sie hochkommt, um zu atmen, sucht Jans Mutter mit einer Taschenlampe die Wasseroberfläche ab.
    »Verpiss dich«, flüstert Marit kaum hörbar. Die Umstände sprechen für sie: das Wispern des Regens auf dem Wasser, gurgelnde Fließgeräusche, die Dunkelheit, leichter Wellengang – der Fluss ist bereit, sie zu verstecken, ihr Stöhnen zu überspielen, während sie zuerst ihre Beine befreit und anschließend den Knebel entfernt, beides funktioniert problemlos. Das Aufjaulen des Bootsmotors.
    Endlich dreht Ella bei und sie ist allein. Mitten in der Elbe, die an dieser Stelle fast drei Kilometer breit ist. Sobald Marit sich diese Zahl vor Augen geführt hat, wird ihr bewusst, wie mies ihre Chancen stehen, mag der Strom ihr nun gewogen sein oder nicht. Sie ist nun mal kein Fisch. So eine weite Strecke ist sie nie zuvor geschwommen und das Wasser ist kalt. Wenn sie Glück hat, schafft sie es mithilfe der Strömung bis zur Rhinplate. Die Umrisse der Insel vor dem schleswig-holsteinischen Ufer zeichnen sich vage vor dem stumpfen Grauschwarz der Nacht ab. Wenn sie noch mehr Glück hat, ist dort verbotenerweise ein Angler mit seinem Kahn unterwegs und sammelt sie ein.
    Marit krault. Von der Anstrengung wird ihr Kopfweh sofort schlimmer, und dieser Schmerz zermürbt ihren Willen. Sie erlahmt schnell. Das Gewicht der nassen Kleider. Die Kälte. Obwohl sie sich dem Pulsieren des Flusses anpasst, bemüht, sich ihre Kräfte einzuteilen, überkommt sie aus der Tiefe eine eisige Müdigkeit, die ihre Glieder beschwert und in ihr das Verlangen weckt, die Augen zu schließen und sich treiben zu lassen.
    Sie muss über den toten Punkt hinweg.
    Dann ein Brummen, rasch näher kommend. Marit lauscht. Ein Bootsmotor, und zwar ein Außenborder. Das ist nicht Ella, die zurückkommt, das ist ihre Rettung. Marit brüllt um Hilfe und die Motorengeräusche werden gedrosselt.
    Sie vermutet, nein, sie hofft, dass dieses Boot nicht zufällig hier draußen unterwegs ist, sondern um sie zu finden. Jemand vom Jachtklub, der Ella gesehen hat und nun nach ihr sucht. Jedenfalls kennt der Bootsführer die Strömungsverhältnisse, steuert die richtige Stelle an.
    »Marit!«
    Scheiße. Die Stimme gehört Jan.
    »Maaaaarit!«
    Sie weiß nicht, was sie tun soll. Dort der Mörder, ringsum der Fluss. Wessen Willkür will sie sich unterwerfen? Sie könnte es immer noch bis zur Rhinplate schaffen.
    Könnte sie nicht.
    Marit formt die Hände zum Trichter und schreit den Namen, den sie bis heute früh so sehr geliebt hat, hinaus in die Nacht.
    »Warum?«
    Sie sitzen Seite an Seite in einem Schlauchboot. Jan bietet ihr seine Jacke an, aber Marit lehnt mit einem entschiedenen Kopfschütteln ab. Von ihm will sie nichts. Nur noch Antworten.
    »Warum?«, wiederholt sie ihre Frage und meint den Mord, seine Lügen, einfach alles.
    »Zoé wollte uns verraten. Sie ließ sich einfach nicht zur Vernunft bringen. Sie hat gesagt, ich bin ganz schnell wieder da, wo ich hergekommen bin. Ganz unten. Bei Säufern und Assis, wo ich hingehöre. So was hat sie gesagt, ist das nicht gemein? Sie wollte mich zwingen, zu ihr zu stehen, sie richtig zu lieben. Da bin ich ausgerastet. Es war ein Unfall. Das wollte ich nicht, ehrlich. Ich wollte bloß, dass sie die Klappe hält.« Er weint.
    Marit versucht, aus seinem Gestammel schlau zu werden. »Was wollte Zoé verraten? Dass ihr was miteinander habt?«
    Jan nickt.
    »Wem? Mir?«
    Erneutes Nicken.
    »Aber das wolltest du nicht?«
    »Nein! Zoé hatte sich irgendwie in mich verliebt, sie war ganz versessen darauf, dass wir richtig zusammenkommen, und als sie merkte, dass sie ihren Willen nicht kriegt, wollte sie alles kaputt machen. Mich, dich, sich selbst. Dabei hatte ich ihr von Anfang an gesagt, dass ich dich nicht verlieren will.«
    »Und warum gehst du dann überhaupt mit Zoé ins Bett?«
    Jan schweigt.
    »Warum?«, brüllt Marit ihn an und spürt, keine Antwort wird jemals ausreichen, um wirklich zu verstehen.
    Schulterzucken. »Sie war so scharf. Ich weiß auch nicht …«
    »Aber geliebt hast du sie nicht?«
    Er zögert zu lange, bevor er den Kopf schüttelt. »Ich wollte dich nicht verlieren«, wiederholt er.
    »Mich oder die Aufstiegschancen, die dir unsere Beziehung garantiert hat? Eine Zukunft als erfolgreicher Unternehmer. Geld, Status. Ging es dir nur darum?«
    »Du weißt nicht, wie das ist, wenn man arm ist und die Mutter trinkt«, schreit er sie an,
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