Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
Vom Netzwerk:
und obgleich seine teilnahmslose Art Marit ebenfalls Rätsel aufgibt, muss sie über diesen Anflug von Schlagfertigkeit grinsen. Im Gegensatz zu ihrem Vater, dem der Zorn ins Gesicht geschrieben steht. Manchmal kann er zu Ansgar ziemlich hart sein, was nach all den Jahren auf ihren Bruder zunehmend weniger Eindruck macht. So kommen allmählich die Schwächen seines Erziehungsstils zum Tragen.
    Marit wartet darauf, dass die Situation eskaliert und die zwei sich anschreien, was sie neuerdings ständig tun, doch ihr Vater belässt es bei einem missbilligenden Grunzen und fragt: »Was ist bloß los mit dir?«
    »Wieso mit mir? Was kann ich dafür, wenn alle verrückt spielen?«
    »Inwiefern?«
    »Gestern hast du selbst gesagt, du glaubst, Zoé ist abgehauen. Die Bullen glauben das auch. Wozu dann also dieser ganze Mist? Stell dir vor, sie kommt zurück und sieht die Flugblätter mit ihrem Foto, wie ein entlaufenes Kätzchen. Mann, ich sag dir, die dreht durch.«
    Marit findet, das hätte sie sich gegebenenfalls selbst zuzuschreiben, verkneift sich jedoch jegliche Bemerkung.
    »Ansgar, wenn du irgendetwas über Zoés Verbleib weißt, dann sag es uns bitte«, drängt ihre Mutter.
    »Ich weiß nichts, verdammt, wie oft wollt ihr es noch hören? Aber das hat nichts zu bedeuten. Nur weil sie meine Freundin ist, muss sie ja nicht über jeden Schritt Rechenschaft ablegen, wir sind doch kein Scheißehepaar. Zoé macht, was sie will, und ich mache, was ich will. Wahrscheinlich hat sie das Kaff hier sattgehabt und hängt bei Freunden in der Stadt rum, in Hamburg oder Berlin oder was weiß ich wo. Zoé hat überall Freunde.«
    »Ihre Mutter behauptet, sie hätte so was noch nie gemacht«, sagt Marit.
    Ansgar lacht auf, ein gehässiges Lachen ohne jede Heiterkeit. »Schwachsinn. Mit fünfzehn ist sie nach Amsterdam getrampt, vier Tage war sie weg und ihre Mutter hat es nicht mal bemerkt, weil sie hochwichtig mit ihren Bildern beschäftigt war.«
    »Echt?«, fragt Marit mit einer Mischung aus Mitleid und Bewunderung für Zoé.
    »Echt.«
    »Und ihr Vater?«
    »War verreist, glaube ich.«
    »Krass.«
    Während Marit ihm die Geschichte sofort abkauft, da sie ihrer Vorstellung von Zoé gerecht wird, wirken die Eltern skeptisch. Als sie versuchen, noch mehr aus Ansgar herauszubekommen, macht er dicht, nachhaken zwecklos, das kennen sie zur Genüge. Wie immer fühlt sich Hilke Pauli schließlich dafür zuständig, das Schweigen zu überbrücken, damit sie einigermaßen versöhnt ihrer Wege gehen können. Ihr zuliebe reißen sich alle am Riemen, tauschen ein paar ebenso belanglose wie freundliche Sätze über die Hitze und ihre Folgen aus: gute Geschäfte in der Eisfabrik, Ansgars Computerprobleme wegen eines defekten Ventilators, vertrocknete Margariten im Garten, Marits und Frankas Suche nach einem extravaganten Bikini.
    Marit macht sich über das restliche Rührei her und wird die Frage nicht los, wie eine Mutter das Fehlen ihres einzigen Kindes tagelang übersehen kann. Angesichts einer solchen Vernachlässigung erscheint Zoés Hang zur Selbstdarstellung in einem anderen Licht: geradezu folgerichtig. Könnte ihr Verschwinden nicht ein weiterer Versuch sein, Aufmerksamkeit zu erregen – bei wem auch immer? Oder war sie durch das Dorfleben angeödet und wollte einfach nur weg, wie Ansgar vermutet? So oder so, je länger sie darüber nachdenkt, desto überzeugter ist sie: Die Polizei hat recht, Zoé geht es gut. Vermutlich verfolgt sie jeden Schritt der Suchaktivitäten im Internet, umgeben von Bewunderern, köstlich amüsiert. Wie in Marits Traum. Unter diesen Umständen hat sie überhaupt keine Lust, sich beim Verteilen der Flugblätter einen Sonnenstich zu holen, sondern befolgt lieber den Rat ihrer Eltern und legt sich an den Strand.
    Das Martini: Eisdiele, Pizzeria und Nachrichtenbörse in einem, mitten im Dorf gelegen. Der Wirt Torben Martini, halb Sizilianer, halb Norddeutscher, hat ein Händchen fürs Geschäft; wo andere Pleite machen – zuletzt der Eichenhof kurz nach den Feierlichkeiten zum hundertjährigen Jubiläum –, brummt sein Laden tagein, tagaus, egal ob die Region boomt oder in der Krise steckt. Im Sommer treffen sich hier alle, die den Tag nicht am Strand ausklingen lassen wollen. Auch Marit und ihre Freunde haben ausnahmsweise keine Lust auf Lagerfeuer, sondern gönnen sich eine Pizza. Es ist Viertel nach neun, Sonnenuntergang, über der Kirche auf der anderen Straßenseite glüht der Himmel zwischen lang

Weitere Kostenlose Bücher