Luegensommer
gezogenen Schäfchenwolken rosa und violett. Lauschige Abendstimmung fast wie am Mittelmeer, man braucht keinen Pulli. Marit hatte erwogen, das neue Kleid anzuziehen, sich letztlich jedoch nicht getraut. Ein andermal. Wenn Jan dabei ist. Er muss schon wieder arbeiten, was ihnen wenigstens die lästige Debatte darüber erspart, wer zahlt. Marit findet es unsinnig, dass er sein hart verdientes Geld verplempert, um sie einzuladen. Meistens besteht er dennoch darauf.
Draußen sind sämtliche Tische belegt, Stimmengewirr ringsum, Hochbetrieb an der Eistheke für den Straßenverkauf. Sie sitzen zu sechst unter einer Kastanie, am Stamm pinnt, obgleich es verboten ist, Bäume zu plakatieren, ein Flugblatt mit Zoés Foto. Marit versucht, nicht andauernd hinzustarren. Keine Chance. Es liegt an der Aufnahme, Zoés blassblaue Augen kommen umwerfend zur Geltung und fordern den Betrachter regelrecht heraus. Die anderen tappen in dieselbe Falle, also sind sie schnell wieder beim Thema.
»Die Spurensicherung hat sich das Fahrrad und die Fundstelle vorgenommen. Keine Anzeichen von Gewalt. Sie vermuten, Zoé ist zu jemandem ins Auto gestiegen, den sie kannte«, sagt Helene, die den Tag in der Redaktion der Lokalzeitung verbracht hat und sich aufspielt, als hätte sie höchstpersönlich mit dem Einsatzleiter telefoniert.
»Und? Gibt es morgen eine fette Schlagzeile?«, fragt Marit.
»Klar doch. Der Chefredakteur hat sogar ein Interview mit Zoés Mutter gemacht«, antwortet Helene, ohne den stichelnden Unterton in Marits Stimme zu beachten.
»Warum das denn? Ist doch fies, wenn die Ärmste jetzt auch noch von der Presse bedrängt wird«, sagt Franka, worauf Helenes Freund Markus beifällig nickt.
»Frau Berger wurde nicht bedrängt, sie hat sich aus freien Stücken bei uns gemeldet. Hätte ich auch gemacht an ihrer Stelle. Sie ist verzweifelt und fühlt sich von der Polizei im Stich gelassen, also bittet sie die Öffentlichkeit um Mithilfe. Was ist daran verkehrt?«
Gute Frage. Die Antwort bleiben sie schuldig, weil Torben Martini das Essen bringt. Marit findet Helenes Position verständlich, muss aber gleichzeitig daran denken, dass Journalisten vom »Witwenschütteln« sprechen, wenn sie Opfer von Tragödien für ihre Berichterstattung einspannen. Ihrer Meinung nach ist das nicht witzig oder cool, sondern geschmacklos, ein guter Grund, den Medienleuten prinzipiell zu misstrauen.
Während der Wirt die Pizzen auf dem Tisch verteilt, zieht er seine übliche Show ab, Palaver über den Sonnenuntergang, Fußball und Bella Italia, bis sein Blick unweigerlich am Flugblatt kleben bleibt, da vergisst er sogar seinen italienischen Akzent und brummelt in breitem Norddeutsch: »Schlimme Sache.«
Wenig später bekommen sie eine Vorstellung davon wie schlimm.
Die Pizza ist genau, wie sie sein sollte: knuspriger Teig aus dem Steinofen, reichlich Belag, dazu Rotwein, der Marit sofort zu Kopf steigt. Leicht beschwipst kommt sie sich gerade ziemlich erwachsen vor, als sie beim letzten Bissen an eine extrascharfe Peperoni gerät. Die Wirkung verschlägt ihr vorübergehend den Atem, sie gerät ins Schwitzen, muss fürchterlich husten, wovon der Rachen erst richtig in Flammen aufgeht. Die anderen lachen sich schlapp über ihre Grimassen und die zappeligen Versuche, das Problem erst mit Wein, dann mit Hendriks Alsterwasser zu bekämpfen. Ein mütterlicher Rat schießt ihr in den Sinn: Milch. Milch hilft bei scharf. Sie braucht ein großes Glas, und zwar sofort. Den Spott der anderen im Rücken stürmt sie in das Lokal.
Drinnen trübselige Leere. Bei der Wärme wollen die Leute im Freien sitzen – und nicht neben einem Steinofen. Ein Ventilator auf dem Tresen rotiert auf verlorenem Posten. Torben Martini steht am Zapfhahn, sieht sie und weiß sofort Bescheid. »Peperoni zu scharf – äh? Bist du zu schwach. Hast du Test nicht bestanden.«
»Milch«, keucht Marit.
Der Wirt lacht und schickt eine Kellnerin in die Küche.
»Peperoni zu scharf, bist du zu schwach«, wiederholt Martini.
Sein dämlicher falscher Akzent macht sie wütend. Soweit sie weiß, hat er noch nie in Italien gelebt und an derselben Schule Abi gemacht wie sie, etwa zehn Jahre früher. Zudem sein Aussehen, typisch deutsch: mittelblond, mittelgroß, mitteldick.
Die Milch wird gebracht und erweist sich als hilfreich.
»Geht auf meine Rechnung«, sagt Martini.
»Das ist ja wohl auch das Mindeste.«
Martini stutzt, kratzt sich im Nacken und deutet danach mit dem Zeigefinger
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