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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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ablassen. Jan hatte recht, es war absolut töricht, sich auf Mimi Perlans Fragen einzulassen. Dabei ist so schon alles kompliziert genug.
    Als Ansgar schließlich aus dem Raum stürzt und ihre Mutter sich an seine Fersen heftet, schaltet ihr Vater das Fernsehgerät ab, trinkt seinen Kaffeebecher leer und verkündet allen Ernstes, es wäre Zeit für ihn, zur Arbeit zu fahren. Marit denkt, sie hätte sich verhört. Seit Zoés Schicksal besiegelt ist, hält er sich auffällig im Hintergrund, lässt keinerlei Gefühle durchblicken und scheint das Thema zu meiden, wann immer es geht.
    »Was ist mit Ansgar?«, fragt sie. »Der dreht durch.«
    Er geht in die Küche, um den Becher in den Geschirrspüler zu stellen, wäscht sich die Hände über der Spüle und ergreift erst wieder das Wort, als ihm bewusst wird, dass seine Tochter ihn anstarrt. »Deine Mutter ist bei ihm. Er fängt sich wieder.«
    Er klingt nicht gerade besorgt. Sie fragt sich, wie ihr Vater reagiert hätte, wenn etwas Furchtbares mit Jan passiert wäre. Auf jeden Fall anders. Mitfühlender, und das möglicherweise nicht nur, weil er Jan von Anfang an lieber mochte als Zoé, zu der er nie einen Draht hatte. Es könnte auch mit Marit selbst zusammenhängen. Wird sie etwa doch von ihrem Vater bevorzugt? Hat ihre Mutter genau das gemeint, als sie sich fragte, woran es Ansgar fehlt?
    Das ist alles Vergangenheit, sie sind beide so gut wie aus dem Haus, redet sie sich ein. Es ist albern, jetzt davon anzufangen. Sie haben andere Probleme. Und die vermehren sich im Minutentakt: Draußen wird die Stille des Morgens gestört. Motorengeräusche, quietschende Reifen auf dem Kopfsteinpflaster der Auffahrt. Durch das Küchenfenster beobachten Marit und ihr Vater, wie zwei Autos vorfahren, ein Polizeiwagen und ein dunkelblauer Audi mit getönten Scheiben, die Dächer blitzen in der Sonne.
    »Was wollen die denn hier?«, fragt Marit.
    »Jedenfalls nichts Gutes.«
    Zwei uniformierte Beamte sowie ein Mann und eine Frau in Zivil entsteigen den Fahrzeugen und eilen mit dynamischen Schritten auf das Haus zu. Wie im Film. Obschon sie in letzter Zeit ziemlich viele Polizisten zu Gesicht bekommen haben, erkennt Marit niemanden von ihnen wieder.
    Die Klingel wird gedrückt und einen Tick zu lange gehalten. Marit und ihr Vater sehen sich an und gehen dann zusammen zur Tür. Zwei gegen vier.
    Es klopft. »Aufmachen, Polizei.«
    Bevor er öffnet, überprüft ihr Vater den Sitz seiner Krawatte im Garderobenspiegel. »Guten Morgen, was kann ich …«
    Die Zivilbeamtin lässt ihn nicht ausreden, sondern hält ihm ein amtliches Schreiben dicht vor die Nase, als wäre er steinalt und hätte Probleme mit den Augen. »Guten Tag, Herr Pauli, ich bin Hauptkommissarin Birte Varnhorn, Mordkommission, wir haben einen Durchsuchungsbefehl. Bitte zeigen Sie uns Ansgars Zimmer.«
    Mordkommission. Während Marit noch damit beschäftigt ist, das Wort zu verdauen, erwartet sie gespannt die Reaktion ihres Vaters. Die Kommissarin ist jünger als ihre Mutter, vielleicht Mitte dreißig, braune, kurze Ponyfrisur, kakigrüne Cargohose, modische Umhängetasche aus demselben Stoff. Sie ist auf lässige Weise dominant, strahlt ein Selbstbewusstsein aus, das Marit sofort nervt, weshalb sie es kaum erwarten kann, dass ihr Vater sie und ihr Gefolge zum Teufel jagt. Denn das wird geschehen, da kann die blöde Amazone noch so penetrant mit ihrem Schrieb winken. Genau wie vor ein paar Jahren in der Eisfabrik: Einmal, als sie am Fließband aushalf, erschienen zwei Polizisten aus der Kreisstadt mit dem Befehl, einen Lehrling aufs Revier zu bringen, weil er in der Berufsschule randaliert haben sollte. Ihr Vater verhinderte es. Er ließ seine natürliche Autorität spielen, und die Beamten mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen, während er den Jungen ins Gebet nahm und die Angelegenheit irgendwie unter der Hand regelte. Marit erinnert sich genau, wie sehr sie ihren Vater dafür anhimmelte. Er gab ihr das Gefühl, in seinem Kosmos, der glücklicherweise auch der ihre war, niemandem Rechenschaft schuldig zu sein außer dem eigenen Gewissen.
    Umso erstaunter – geradezu fassungslos – wird sie nun Zeugin einer Unterwerfung. Ihr Vater lässt sich das Heft aus der Hand nehmen, in Büßerhaltung steht er da, nickt zu allem wie der letzte Trottel und sagt: »Wenn Sie mir folgen wollen«, im Tonfall eines Verkäufers. Klar, dass die Bullen sich nicht die Mühe machen, die Fußmatte zu benutzen.
    Zu Marits Verblüffung ist

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