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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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nach alter Tradition eigentlich Zeitpunkt fürs Feuerwerk – strömen trotz der Absage alle ins Freie. Die Musik bricht ab, die Leute rücken zusammen, Jan und Marit halten Händchen, genau wie die anderen Paare. Beim Feuerwerk vor zwei Jahren haben sie sich zum ersten Mal geküsst. Sie war darauf vorbereitet, hatte den ganzen Abend Kaugummi gekaut, um einen frischen Atem zu haben, wenn es dazu käme, und sich dann daran verschluckt. Inzwischen sind sie in Übung.
    Leider ist dies die falsche Nacht zum Küssen. Sie stehen einfach nur da, sehen sich den Himmel an, wie die meisten anderen auch. Sterne statt Leuchtraketen, aber nicht viele, dafür ist es zu dunstig. Der Mond als blassrötliche Sichel. Kaum jemand spricht, es ist spürbar, woran alle denken. Fast wie eine Schweigeminute oder eine Meditation. Marit wünschte, Frau Berger wäre hier. Vielleicht würde es sie trösten. Andererseits: Wenn die Medien recht haben und es kein Unfall war, könnte genau in diesem Augenblick unter ihnen Zoés Mörder stehen, geborgen im Schutz der Menge.
    Nichts geschieht, absolut nichts, von der Proklamation des neuen Schützenkönigs abgesehen. Als die Suchtrupps unverrichteter Dinge den Rückzug antreten, ebbt auch die Berichterstattung ab und die Übertragungswagen tuckern einer nach dem anderen davon.
    Marit und ihre Freunde vertrödeln Stunde um Stunde beim Dart- oder Billardspielen im kühlen Partykeller von Frankas Eltern, was todlangweilig ist, da ausschließlich Hendrik gewinnt. Sie gehen nicht mehr an den Strand, woran nur vordergründig die sengende Sonne schuld ist, die den Sand zum Glühen bringt. Eine lächerliche Ausrede, als wäre dies nicht genau das Wetter, auf das sie während der verregneten ersten Sommerhälfte gehofft haben. Die Wahrheit lautet: Sie haben keine Lust, sich zu amüsieren. Es kommt ihnen falsch vor.
    Winfried Pauli sagt, möglicherweise würde Zoés Leiche für immer verschollen bleiben. So traurig das sei, man müsse sich an den Gedanken gewöhnen. Marit weiß, worauf er hinauswill: die Elbe, die Flut – wer weiß, was noch von ihr übrig ist? Vielleicht ist es besser, wenn sie niemand mehr zu Gesicht bekommt.
    Einmal geht sie nachts zu Ansgar ins Zimmer, um nachzuschauen, ob er vielleicht wach ist und reden will. Doch er schläft bei laufendem Fernseher, ein zerknittertes Foto von sich und Zoé in der Hand. Die Aufnahme muss im Winter an der Elbe entstanden sein, beide tragen Daunenjacken, Schals und Mützen und sehen unbeschwert und glücklich aus. Im Hintergrund Eisschollen, schmutzig grau wie ein Haufen Putzlumpen.
    Als Kind hat er im Gegensatz zu ihr nur bei eingeschaltetem Licht schlafen können. Daran muss sie denken, als sie den Fernseher ausknipst und die Dunkelheit den Raum in Beschlag nimmt.
    Am nächsten Morgen ist es die erste Meldung in den Rundfunknachrichten: Man hat sie gefunden, dreißig Kilometer elbabwärts. An der Ostemündung, mitten im Vogelschutzgebiet. Sie sagen nicht, ob es Zufall war oder ob dort gesucht wurde. Nur, dass die Polizei von Fremdeinwirkung ausgeht. Im privaten Frühstücksfernsehen sprechen die Moderatoren eine deutlichere Sprache: Zoé wurde ermordet. Jemand hat ihr den Schädel eingeschlagen.
    Einen Moment lang ist Marits Kopf leer und sie betrachtet verstohlen ihren Bruder von der Seite. Seine Gesichtszüge sind zu einer Fratze puren Schreckens entgleist, der Mund ist weit aufgerissen, als wolle er schreien, doch er bringt keinen Ton heraus. Keiner von ihnen. Zu viert stehen sie sprachlos da und starren in den Fernseher, während eine Frauenstimme die ganze Geschichte von vorn bis hinten durchkaut. Dazu wird eine zusammenhanglose Abfolge von Impressionen aus dem Dorf gezeigt. Irgendetwas haben sie mit dem Licht angestellt, im Fernsehen wirkt alles trotz des Sonnenscheins düster, bedrohlich. Plötzlich der Rummelplatz, Marit in Großaufnahme, die Augen weit aufgerissen.
    »Marit, wie geht es Ansgar?«
    Ein Foto ihres Bruders, dazu ihr Kommentar, auf ein einziges Wort gekürzt: »Mies.«
    Kein Zweifel, das hat sie gesagt, aber so aus dem Zusammenhang gerissen, klingt es, als würde sie von jemandem reden, der sich schuldig fühlt. Genau darauf läuft es hinaus: Als Täter, so wird suggeriert, kommt in erster Linie der Freund des Opfers infrage.
    »Musste das sein?«, fragt ihr Vater mit einem Stirnrunzeln, worauf Marit sofort beginnt, sich zu rechtfertigen. Pure Zeitverschwendung, da niemand ihr zuhört, nicht mal sie selbst. Sie muss bloß Dampf

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