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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Gewissheit, als Abiturjahrgang von Lehrern und Schülern mit Respekt behandelt zu werden, weil man so weit gekommen war. An der Uni müssen sie wieder von vorn anfangen. Jan hat den Arm um Marit gelegt und sie schmiegt sich an ihn, heilfroh, dass sie gemeinsam in Hamburg studieren werden.
    Es kracht. Ein heftiger Stoß, viel hätte nicht gefehlt und ihr Kopf hätte Jan einen Kinnhaken verpasst: Franka und Hendrik haben sie voll erwischt. Jan droht ihnen lachend mit der Faust. Marits Fehler, sie hat nicht aufgepasst.
    »Na warte, die kauf ich mir.« Als sie die Verfolgung aufnimmt, sieht sie das Fernsehteam. Ein junger Typ mit Sonnenbrille und Kamera hält auf sie drauf, daneben eine gestylte Tussi mit Mikrofon. Jan hat die beiden ebenfalls bemerkt und warnt sie: »Pass auf, da drüben.«
    Aber was soll sie machen? Momentan kommen sie hier schlecht weg. Dass Journalisten ihr auflauern, passiert nicht zum ersten Mal, gestern lungerten welche in ihrer Straße herum. Irgendwer hat geplaudert, sie wissen über Ansgar und Zoé Bescheid. Ihr Bruder geht überhaupt nicht mehr aus dem Haus. Sie fragt sich, was passieren müsste, damit die Medien das Interesse verlieren. Ein Terroranschlag? Ein Zugunglück? Etwas Spektakuläres jedenfalls.
    Nach der Fahrt verlassen sie den Autoskooter zügig und versuchen den Fernsehleuten auszuweichen, doch ohne Erfolg.
    »Marit, wie geht es Ansgar?«
    Sie zuckt zurück. Wildfremde Personen, die sie beim Namen nennen, ihr Fragen über die Familie zurufen, machen sie nervös. Die Reporterin ist wirklich eine Tussi, zierlich mit riesiger Oberweite, das Werk eines Schönheitschirurgen, da geht Marit jede Wette ein. Doch ihre Augen strahlen Wärme aus und die Stimme klingt nett und verbindlich. Die Frau ist kein Ungeheuer, sie macht nur ihre Arbeit, sagt sich Marit. Benehmen sie sich nicht alle verdächtig, wenn sie immer bloß vor den Fragen der Journalistenmeute davonlaufen? Als hätten sie etwas zu verbergen. Dabei wollen sie nur ihre Ruhe haben, irgendwie ihr Leben weiterleben, was nichts darüber aussagt, wie betroffen sie sind.
    »Wie gut kanntest du Zoé? Wart ihr befreundet?«
    »Sie war die Freundin meines Bruders. Natürlich kannte ich sie.«
    »Wie geht es Ansgar?«, wiederholt sie ihre Eingangsfrage.
    »Ziemlich mies. Er ist vollkommen verzweifelt«, sagt Marit. Eine Vermutung. Sie hat keinen Schimmer, was in ihm vorgeht. Woher auch? »Jeder hier ist ziemlich am Ende. Was denken Sie denn?« Die Öffentlichkeit – wer oder was auch immer das sein mag – soll die Dorfbewohner nicht als gefühllos abstempeln, weil sie sich auf einem Volksfest die Zeit vertreiben. Marit weiß es besser: Nur auf den ersten Blick geht alles seinen normalen Gang. Tief im Herzen sind sie alle verstört.
    Jan legt die Hand auf ihre Schulter und schiebt sie mit milder Gewalt vorwärts. »Kommen Sie«, sagt er zu der Reporterin, »machen Sie Feierabend. Für welchen Sender arbeiten Sie überhaupt?«
    Die Frau nennt eine Reihe von Privatsendern und überreicht Marit ihre Visitenkarte. »Wenn Sie mit jemandem über die Sache reden wollen, rufen Sie an«, sagt sie. »Einen schönen Abend noch.«
    Marit schaut auf die Karte: Mimi Perlan. Schicker Name, wahrscheinlich genauso wenig echt wie die Brüste.
    Später entwickelt sich ein Streit, weil Marit überhaupt mit den Journalisten geredet hat. Jan hält es für falsch, eigentlich stehen sie auf demselben Standpunkt, doch etwas an dieser aufgebrezelten Mimi hat Marit für sich eingenommen, was sie mittlerweile bereut. Dennoch hält sie Jans Ärger für übertrieben. Schließlich hat sie keine Geheimnisse ausgeplaudert. Wie gewöhnlich, wenn sie sich in die Haare kriegen, schmollt sie etwas länger als er, erst an der Schießbude ist alles vergeben und vergessen, und sie lässt sich von ihm eine Plastikrose und ein Plüschtier schießen, das sie sogleich an ein kleines Mädchen weiterverschenkt.
    Im Festzelt, wo sich die Wärme des Tages staut und es nach verschüttetem Bier, Schweiß und anderen Aussonderungen riecht, wird Hark Jansens Bruder Helge zum Jungschützenkönig gekürt und lallt sich auf wackligen Beinen durch seine Ansprache. Sein Hut ist ihm viel zu groß. Marit und ihre Freunde bleiben am Eingang stehen, um der schlechten Luft zu entgehen, spenden aber brav Beifall. Hark, ebenfalls in Schützenuniform, entdeckt Marit von fern und prostet ihr mit seiner Bierflasche zu, worauf sie eilig in eine andere Richtung blickt.
    Was kurios ist: Um Mitternacht –

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