Luegensommer
Mitwirkung an, worauf Jan ihr einen entnervten Blick zuwirft. »Na toll.«
Sie helfen Ella, die Ernte im Fahrradkorb zu verstauen, sehen ihr nach, als sie davonradelt und dabei winkt, ohne sich umzudrehen. Kaum sind sie allein, schaut Jan auf seine Armbanduhr und stöhnt auf. »Wirklich toll. In einer Stunde muss ich zur Arbeit.«
»Na und? Komm, sei nicht so«, sagt Marit und zwickt ihn in die Wange, weil er so eine Flunsch zieht. »Es war doch richtig nett heute mit deiner Mutter. Wenigstens behandelt sie mich normal.«
Im Gegensatz zu Franka und Helene, die auf einmal erstaunlich viel um die Ohren haben. So viel, dass für Marit keine Zeit mehr bleibt, es reicht kaum für ein kurzes Telefonat. Viel Fantasie gehört nicht dazu, sich auszumalen, was in ihnen vorgeht: Zweifelsohne haben sie postwendend erfahren, dass Ansgar unter Verdacht steht, egal ob aus der Zeitung oder aus dem Fernsehen oder von den Nachbarn. Alle wissen Bescheid. Unsicher, wie sie sich Marit gegenüber verhalten sollen, gehen sie klammheimlich auf Distanz. Klarer Fall von Feigheit. Marit hätte mehr von ihnen erwartet.
Es reicht schon, wie die Leute im Dorf sie ansehen, zuletzt frühmorgens beim Bäcker: Diese Mischung aus Empörung und Erstaunen, als hätten sie nicht erwartet, sie dort anzutreffen. Als wäre es in ihrer Situation unangebracht, überhaupt vor die Tür zu gehen. Nicht dass jemand etwas Derartiges gesagt hätte, stattdessen freundliches Grüßen von allen Seiten. Die Luft in der Backstube zum Zerschneiden. Es war grässlich. Sie mag nicht länger daran denken.
Jan zieht sie in seine Arme und hält sie fest, eine Umarmung voller Wärme und Kraft, nur seine Stimme klingt immer noch maulig. »Ich behandele dich ja wohl auch normal.«
Was nicht ganz stimmt. Die meiste Zeit ist er außerordentlich rücksichtsvoll. Wie jetzt, als sie ihn lange küsst, sich ihm jedoch entzieht, sobald er die Hand unter ihr T-Shirt gleiten lässt: keine Spur von Drängen seinerseits. Das hat sie schon anders erlebt, insbesondere während der langen Phase, in der sie bereits zusammen waren, Marit aber noch nicht bereit war, mit ihm zu schlafen.
»Ich hole mir eine Cola, willst du auch eine?«, flüstert sie.
»Warum nicht.«
Also Hollywoodschaukel, statt grünes Sofa. Ein betagtes Modell in Himmelblau mit gelben Butterblumen. Trotz der unvermindert schweißtreibenden Temperaturen sitzen sie eng beieinander, Blick auf Bohnenstauden und Tomaten, und trinken ihre Cola. Er erkundigt sich nach ihrem Schlaf. Neuerdings hat sie Albträume, was ihn zu beunruhigen scheint, deshalb spielt sie es herunter, obwohl die letzte Nacht grauenhaft war. Die vielen abscheulichen Einzelheiten im Zusammenhang mit Zoés Tod sind schon tagsüber schwer aus dem Kopf zu bekommen, nachts verschmelzen sie zu einem blutigen Schreckensszenario, in dem Marit sich unweigerlich verirrt. Beim Aufwachen bleiben quälende Fragen zurück: Wie fühlt es sich an, erschlagen zu werden? Hatte Zoé große Angst? Schmerzen? War sie sofort tot? Und vor allem: Wer ist schuld daran? Wer hat es getan?
»Du siehst müde aus«, stellt Jan fest.
»Kann sein, das liegt am Wetter. Eine Abkühlung wäre nicht schlecht.«
»Morgen soll es Gewitter geben.«
Marit seufzt. »Morgen ist die Beerdigung.«
»Ich weiß«, sagt Jan und ergreift ihre Hand. »Das schaffen wir schon. Vielleicht wird danach alles besser.«
»Ja, vielleicht.« Noch hat sie die Hoffnung auf tröstende Worte des Pastors nicht aufgegeben. Irgendetwas, was der Sinnlosigkeit eines solchen Verbrechens die Stirn bieten kann. Falls das überhaupt geht. Manchmal wäre sie gern so gläubig wie ihre Mutter. Und Ella. In dieser Hinsicht sind sich ihre beiden Mütter durchaus ähnlich, wenngleich sie ansonsten nicht viel gemeinsam haben. Im Kirchenvorstand organisieren sie hin und wieder Veranstaltungen zusammen, aber eine echte Frauenfreundschaft ist daraus bislang noch nicht entstanden.
Wie auf Verabredung heben Jan und sie die Füße an und nehmen vorsichtig Schwung. Mit einem Quietschen setzt sich die Hollywoodschaukel in Bewegung, und der entstehende Lufthauch umschmeichelt ihre nackten Beine. Es könnte wirklich ein Supersommer sein. Ohne diesen ganzen Ärger.
»Wirklich besser wird es sowieso erst, wenn die Polizei aufhört, Ansgar zu verdächtigen«, nimmt Marit missmutig den Faden wieder auf.
Schweigen. Die Schaukel wiegt sie sanft vor und zurück und quietscht dazu.
»Diese grässliche Kommissarin, Birte Varnhorn, die
Weitere Kostenlose Bücher