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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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hat sich richtig auf ihn eingeschossen. Blöde Kuh.«
    Jan nickt langsam und scheint etwas sagen zu wollen, zögert jedoch so lange, bis Marit ihn zum Sprechen auffordert.
    »Ist aber eine dumme Frage.«
    »Macht nichts. Stell sie einfach.«
    Er fummelt am Strohhalm, der in seiner leer getrunkenen Colaflasche steckt, und räuspert sich. »Was machst du eigentlich, wenn am Ende herauskommt, dass Ansgar es war?«
    »Er war es nicht.«
    Jan sehr sachlich: »Wie kannst du da so sicher sein?«
    »Wie kannst du an ihm zweifeln? Er ist mein Bruder. Du kennst ihn, er ist ein totaler Schwächling und absolut kein Schlägertyp. Außerdem hat er mir versichert, dass er es nicht war. Und wenn Ansgar sich schon mal herablässt, mit mir zu reden, dann bestimmt nicht, um Lügen zu verbreiten.«
    Jan nickt wieder, eindeutig zustimmend diesmal, hakt aber trotzdem nach. »Und wenn er es doch gewesen wäre, was dann? Nur so theoretisch.«
    Marit ist verärgert, weil er darauf herumreitet, gleichzeitig will sie sich und ihm die Antwort nicht schuldig bleiben. Nach kurzer Überlegung weiß sie, wo sie steht, und ist darüber insgeheim erleichtert: »Dann würde ich seine Tat zwar verurteilen und vermutlich auch wollen, dass er dafür bestraft wird, aber ich würde zu ihm halten«, sagt sie und macht sich zugleich Vorwürfe, weil sie damit nicht schon viel eher angefangen hat. Wo war sie denn in der Schule, wenn er allein in der Cafeteria saß und niemand etwas mit ihm zu tun haben wollte? Hat sie sich vielleicht dazugesellt oder ihn in den Kreis ihrer Freunde eingeladen? Nicht ein einziges Mal. Im Bewusstsein, etwas wiedergutmachen zu müssen, bekräftigt sie: »Ich würde immer zu Ansgar halten. Was denkst denn du? Wir sind nun mal eine Familie. Und du? Was würdest du machen, wenn es Ansgar war? Immerhin wäre ich dann die Schwester eines Mörders.«
    Er legt ihr die Hand in den Nacken. »Zu dir halten. Was denkst denn du?«
    Etwas Besseres hätte er nicht sagen können, um sie zu besänftigen. Dazu seine Berührung – wie ein guter Zauber, der einen bösen unschädlich macht. Diesmal ist sie diejenige, die auf die Uhr sieht. Ihnen bleiben noch fünfzehn Minuten für das grüne Sofa.
    Als Hardy Jespersen am Abend bei ihnen klingelt, ist Marit gerade wieder daheim und frisch geduscht. Der Rest der Familie hat sich verdrückt, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, die Sache bleibt also an ihr hängen. Zwar rechnet sie nicht mit irgendwelchen Reportern – denn die haben anscheinend Feierabend, oder sie postieren sich für den morgigen Großkampftag schon mal am Friedhof –, dennoch erschrickt sie und hält sich an die Anweisung ihrer Eltern, die Videoüberwachung der Gegensprechanlage zu aktivieren, um herauszufinden, mit wem sie es zu tun hat. Unheimlich, wie schnell sich alles verändert: Das hier war bislang ein offenes Haus, vor allem im Sommer, Freunde und Nachbarn kamen und gingen, wie es ihnen gefiel. Nun also Gesichtskontrolle. Seit das Tor zur Einfahrt konsequent geschlossen bleibt, kommt niemand mehr unerkannt aufs Grundstück. Was auch seine Vorteile hat. So ist es Marits Entscheidung, ob sie sich in der Lage sieht, Zoés Vater zu empfangen.
    Schweren Herzens öffnet sie und spricht ihm ihr Beileid aus. Sein Händedruck ist fest und feucht und will kein Ende nehmen. Marit lässt es über sich ergehen, zu gut erzogen, um sich zu befreien. Dabei fällt ihr komischerweise ein, dass er einen Doktortitel hat, den sie bei der Anrede immer unterschlägt, was sich natürlich nicht gehört. In Kunstgeschichte, laut ihrer Mutter.
    »Sie wollten sicher zu meinen Eltern? Die sind leider nicht da.« Sie stehen in der Diele. Wenn es nach Marit geht, bleibt das auch so, denn sie verspürt keinerlei Lust, allein mit diesem Mann im Wohnzimmer zu sitzen, womöglich um Fragen über ihren Bruder zu beantworten, also bittet sie ihn nicht herein.
    »Also, eigentlich wollte ich mit Ansgar reden.«
    »Der ist auch nicht da. Worum geht es denn?«, fragt sie, zum einen aus Neugier, zum anderen um ihn vor weiteren Zumutungen zu schützen. Er macht genug durch.
    Hardy Jespersen druckst herum. Marit denkt, sie müsste ihm wenigstens etwas zu trinken anbieten – schon wegen des heißen Wetters –, und hört innerlich ihre Mutter schimpfen.
    »Ich will wissen, ob …«
    »Nein«, sagt Marit mit fester Stimme.
    »Er würde doch nicht, oder?«
    »Nein. Niemals.«
    »Zoé war nicht einfach, aber er würde doch nicht. Einer wie er doch nicht …« Jespersen

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