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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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fürs Erste nicht antworten. In ihrem Hirn ist so schon genug Sturm. Vielleicht ist sie zu sehr Teil dieser Landschaft, vernünftig denken kann sie auch bloß geradeaus, alles andere macht sie irre.
    Marit dreht die Klimaanlage auf Maximum, stellt die Düse über dem Radio so ein, dass der Luftstrom ihre Wangen kühlt, und bemitleidet eine riesige Herde schwarzbunter Kühe, die wie abgeschossen im Gras liegen, kein Schatten weit und breit. Immerhin sind die Wiesen noch saftig, obgleich es bis auf den einen Gewitterschauer im Juli keinen Regen gegeben hat. Der Marschboden: ein Wasserspeicher, weshalb der Landstrich zwischen Elbe und Weser auch nasses Dreieck genannt wird. Sachkundeunterricht, dritte Klasse oder so. Wasserleichen waren damals noch kein Thema.
    Wann ist Zoé gestorben?
    Wo?
    Warum?
    Zurück im Dorf, als sie an der Ampel halten muss, entdeckt Marit den Volvo ihrer Mutter neben sich, auf der Linksabbiegerspur. Wahrscheinlich auf dem Weg zum Supermarkt. Marit schaut stur geradeaus. Sie ist nervös, ihre Haut kribbelt, und sie begreift nicht sofort, dass es Wut ist, was sie fühlt, und zwar die Art Wut, die sie bisher nur von ihrem Bruder kannte. Als sei in ihrem Innern eine ätzende, feuergefährliche Säure verschüttet worden. Dieses Kribbeln, fast schon ein Schmerz. Marit ahnt, wo solche Wut aufflammt, geht etwas kaputt. Unwiderruflich.
    Es ist eine einfache Rechnung: Ansgar und sie sind gut ein Jahr auseinander, neun Monate Schwangerschaft, das heißt, Marit war erst ein paar Monate alt, ein Säugling, als ihre Mutter diese Affäre hatte. Wer hat in dieser Zeit eigentlich auf sie aufgepasst? Welche Mutter benimmt sich denn so, lässt ihr Baby zurück, um fremdzugehen? Wie könnte Marit da nicht wütend auf sie sein?
    Die Linksabbieger haben zuerst Grün, und Marit beobachtet, wie ihre Mutter nicht den Supermarkt, sondern den Parkplatz hinter der Kirche ansteuert. Ihre Frömmigkeit, vom Rest der Familie immer ein wenig belächelt, wirkt auf Marit nun wie der verspätete Versuch, etwas wiedergutzumachen, das nicht wiedergutzumachen ist.
    Plötzlich Hupkonzert, gemeint ist Marit. Die Ampel steht auf Grün.
    Meistens ist es ganz leicht, Jan zu lieben. Er wusste von Anfang an, was er wollte, nämlich Marit, und das mit einem Lebenshunger, der so gereift wirkte, dass sie bald anfingen, über die Zukunft zu reden. Eine gemeinsame Zukunft. Denn Marit wollte Jan auch von Anfang an. Besonders imponierte ihr seine ruhige Art, keine blöden Machtspielchen, kein Kontrollzwang, so was hat er nicht nötig. Umso erstaunter ist sie daher, als er sie gleich beim Einsteigen anblafft.
    »Wo warst du?«
    »In der Stadt. Lunchen mit Helene.«
    »Na toll. Ich stehe hier seit mehr als zehn Minuten in der prallen Sonne und warte auf dich, ist dir das klar?«
    Marit sieht auf die Digitalanzeige am Armaturenbrett. Stimmt, sie hat Verspätung. Jans Schicht in der Eisfabrik ist schon eine Weile aus. »Tut mir leid.«
    »Das nützt mir auch nichts.«
    Sie dreht ihm den Kopf zu, schickt einen Luftkuss in seine Richtung und schenkt ihm ihr schönstes Lächeln. »Zehn Minuten sind ja nun nicht die Welt. Aber tut mir trotzdem echt leid«, sagt sie und überlegt, mit ihm für ein paar Stunden ans Meer zu fahren, wo sie schon lange nicht mehr waren. Eine Auszeit, um den Kopf freizubekommen.
    Doch er bleibt zu feindselig für so einen Vorschlag. »Es geht nicht um die zehn Minuten, sondern darum, dass du mich hängen lässt. Ich weiß überhaupt nicht mehr, wo du dich rumtreibst. Was hattest du zum Beispiel bei Zoés Eltern zu suchen?«
    »Woher weißt du das denn?«, fragt Marit und flucht insgeheim auf die Enge, die das Leben in der Dorfgemeinschaft mit sich bringt. Jeder weiß immer gleich alles. Verärgert schlägt sie den Weg zur Bundesstraße ein, Richtung Nordsee, und beschleunigt auf hundertzwanzig, sobald sie das Ortsausgangsschild hinter sich gelassen haben.
    »Frau Berger hat mich gestern spätabends in der Tankstelle zusammengefaltet. Du, das war kein Spaß. Die fühlte sich von dir ziemlich belästigt.«
    »Das hat sie mir auch schon klargemacht, da muss sie dich doch nicht mit reinziehen, die arrogante Kuh.«
    »Eine superarrogante Kuh. Ich würde trotzdem gern wissen, was du dort zu suchen hattest!«
    »Was wohl?«
    »Ja, was?
    Als sie es ihm sagt, starrt er sie entgeistert an. »Bist du verrückt geworden?«
    Schon wieder ein Streit. Jan und sie haben darin so wenig Übung, dass Marit sofort Angst bekommt, ihn zu

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