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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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nur mit halbem Ohr zu, betrachtet das Foto in Helenes Notebook konzentrierter. Zoés Haare waren kurz, als sie starb, und ihre Haut war eigentlich nie sonderlich blass, auch im Winter nicht, da wurde sicher nachgeholfen. Eine Inszenierung. Zoé muss noch gelebt haben, als diese Aufnahmen entstanden, aber in Marits Augen ist die Täuschung nahezu perfekt, Zoé sieht aus, als wäre sie mausetot. Erschlagen. Das eigene Schicksal vorweggenommen in einem Kunstwerk. Oder vorausgeahnt? Obgleich Marit das Bild nie zuvor gesehen hat, kommt ihr irgendetwas daran bekannt vor. Die scharfen Kontraste. Die kompromisslose Farbgebung: Schwarz, Rot, Weiß. Dieser offenkundige Wunsch, mit einer Art Todesästhetik zu provozieren. Wo hat sie das zuvor schon mal gesehen?
    »Wann wurden diese Fotos ins Netz gestellt?«
    »Im letzten Winter. Der Künstler nennt sich scharig 90 . Er kommt aus Hamburg und ist vermutlich zwanzig Jahre alt, sofern die Neunzig für das Geburtsjahr steht. Mehr gibt sein Profil auf der Website nicht her.«
    Er könnte der Mörder sein, denkt Marit, abartig genug sind die Bilder ja. Vielleicht hat es ihm irgendwann nicht mehr gelangt, dass Zoé sich nur tot stellte.
    »Ich kann dem Typen über die Community eine Nachricht zukommen lassen. Soll ich?«, fragt Helene.
    Marit überlegt. »Nicht dass er gewarnt wird. Deine Pseudokunstwerke könnten ihn misstrauisch machen.«
    »Du denkst, er könnte etwas mit dem Mord zu tun haben?«
    »Du doch auch, oder nicht?«
    Sie sehen sich an. Marit erkennt die Sensationslust in Helenes Augen: dieses hitzige Funkeln, dazu ein kaum sichtbares Zucken des Lids, der Bereitschaft geschuldet, sich ohne jede Vorsicht in diese Angelegenheit hineinzustürzen, um ihre Karriere als Journalistin gleich mit einem Paukenschlag zu beginnen. Keine Frage, Lene will eine Story. Marit etwas ganz anderes. Grund genug, die Freundin fürs Erste hinauszukomplimentieren, also erfindet sie eine Verabredung.
    »Mit wem?«
    »Meiner Oma.«
    »Kannst du die nicht warten lassen?«
    »Keine Chance.«
    Sie sind schon an der Haustür, als Helene unbedingt noch etwas trinken will und, weil sie sich im Haus bestens auskennt, ohne Einladung schnurstracks in die Küche stapft.
    »Wieso ist denn das so dunkel hier?«
    Marit, die der Freundin gefolgt ist, drückt auf den Lichtschalter und dann stehen sie beide reglos nebeneinander, die zerstörte Scheibe vor der geschlossenen Außenjalousie fest im Visier.
    »Ach du Scheiße«, sagt Helene.
    »Das kannst du laut sagen.«
    »Wann ist das denn passiert?«
    »Heute Nacht. Die Glaser kommen erst nachmittags.«
    Helene ist nicht dumm, geht automatisch von einem Anschlag aus, obwohl Marit sich hütet, ihr die hässlichen Details zu erzählen. Auch die Tatsache, dass die Wohnzimmerscheibe ebenfalls hinüber ist, verschweigt sie.
    Es ist Helene anzumerken, wie gern sie diese kleine Digitalkamera zücken würde, die sie jederzeit bei sich hat, um die Beschädigung für die Leser des Käseblatts zu dokumentieren. Nicht darum zu bitten, sieht ihr überhaupt nicht ähnlich, ein echter Freundschaftsdienst. Marit rechnet ihr das hoch an.
    »Komm, ich bring dich noch zum Auto«, sagt sie, bevor die Freundin es sich anders überlegen kann.
    Draußen auf der Straße, wo das Sonnenlicht, reflektiert vom hellen Pflaster, in den Augen sticht, berührt Helene sie an der Schulter. »Du Marit, sei so lieb und erzähle Mimi Perlan das mit eurem Fenster. Okay? Sie hat schon ein paarmal versucht, dich zu erreichen. Ruf sie an.«
    Marit tritt einen Schritt zurück, beschattet ihr Gesicht mit der Hand. »Nein.«
    »Komm schon. Sei nicht unfair. Sie spielt in unserem Team. Wie oft soll ich das noch sagen? Was denkst du, wie ich auf dieses Künstlernetzwerk gestoßen bin? Das war ihr Tipp. Sie hat so eine Software, mit der man nach Gesichtern suchen kann.«
    »Sie weiß von diesen Leichenbildern?«, fragt Marit erschrocken.
    »Ja klar.«
    »Will sie darüber berichten?«
    »Jetzt noch nicht. Sie ist der Meinung, wir sollten erst mal mit unserer Recherche vorankommen.«
    »Hör zu, ich bin dankbar für die Hilfe, aber ich werde dieser Frau garantiert nichts erzählen und ich will auch nicht, dass du das tust. Ich spiele nämlich nicht. Und schon gar nicht in einem Team mit fremden Leuten.«
    Scharik ist ein slawischer Hundename und bedeutet »Grauer« oder im Russischen »Kügelchen«, auch im Arabischen kommt die Bezeichnung vor, es schreibt sich allerdings nie mit »g«, sondern mit »k« am

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