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Luegensommer

Titel: Luegensommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Kui
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Ende.
    Das hilft ihr nicht weiter. Marit sitzt im Garten unter der Linde, ihr MacBook auf den Knien. Seit zehn Minuten ist sie selbst Mitglied in dieser Künstler-Community, genau wie Helene sagte, war die Anmeldung unproblematisch, einzige Voraussetzung: das Bereitstellen mindestens zweier eigener Werke. Marit hat Aquarellbilder aus dem Kunstunterricht in der elften Klasse eingescannt und sich Elbnixe genannt. Ein typischer, infantiler Online-Nickname, aber etwas Gescheiteres ist ihr so schnell nicht eingefallen. Hauptsache, er erfüllt seinen Zweck. Sie will mit diesem scharig 90 in Verbindung treten, bevor jemand ihr zuvorkommt. Jemand aus ihrem sogenannten Team. Die Vorstellung, dass diese Berliner Fernsehtussi an der Sache dran ist, beunruhigt sie.
    Die UnArt-Community ist organisiert wie ein typisches soziales Netzwerk. Mit dem Unterschied, dass es anscheinend unüblich ist, als Profilbild ein Porträt von sich einzustellen, man verwendet weitere Kunstwerke. So bleibt scharig 90 aus Hamburg leider zunächst gesichtslos, auch sonst hat er, genau wie Helene sagte, kaum Informationen über sich preisgegeben. Er ist bei den Usern trotzdem beliebt, kommt auf mehr als dreihundert Freunde. Marit beginnt, einen nach dem anderen anzuklicken, und versinkt in einer bizarren Bilderflut – Abstraktes, Gegenständliches, Farben, Formen, alles, was in den Augen irgendwelcher Spinner die Bezeichnung Kunst verdient –, bis die Stimme ihrer Mutter sie zurück in den elterlichen Garten katapultiert.
    »Himmel, ist das heiß hier draußen. Und so drückend. Wie hältst du das aus? Du, die Glaser kommen gleich, ich habe Zitronenlimonade für sie angesetzt. Möchtest du auch ein Glas?«
    Widerwillig blickt Marit auf. Ihre Mutter hält ihr ein Glas hin, beschlagen vor Kälte, Eiswürfel klimpern. Sie ist durstig, sehr sogar, noch heftiger als der Durst ist allerdings die Wut auf ihre Mutter, wenn auch nicht mehr ganz so quälend wie tags zuvor von Auto zu Auto.
    »Du hast Limonade für die Glaser angesetzt? Ist nicht dein Ernst. Die perfekte Hausfrau und Mutter, was?«
    Als sie das müde und verwirrte Gesicht ihrer Mutter sieht, hat Marit sofort ein schlechtes Gewissen, doch das ist leicht zu unterdrücken. Sie muss sich nur ihren Vater vorstellen, wie er auf der Suche nach DNA -Material Haare aus Ansgars Skimütze pflückt. Oder sich die letzten Tage ins Gedächtnis rufen, diese elenden Streitereien. Ohne diesen Ärger würden sie alle vier Seite an Seite stehen. Zum ungünstigsten Zeitpunkt versagt ihr Familienzusammenhalt, und den Schlammassel hat ihnen einzig und allein Marits Mutter eingebrockt, in einer Nacht vor achtzehn Jahren. Es können auch viele Nächte gewesen sein.
    »Hab ich dir was getan?«, fragt Hilke Pauli.
    Das müsstest du doch am besten wissen, kreischt es in Marit. Unfähig, das peinliche Thema anzusprechen, sagt sie nichts dergleichen, stattdessen fragt sie: »Und wie erklärst du den Glasern, dass bei uns jemand absichtlich die Fenster einschmeißt?«
    »Das sind Handwerker, Marit, denen sind wir keine Erklärung schuldig.«
    »Aber mir bist du eine Erklärung schuldig.«
    »Wofür denn?« Sie hat eindeutig keinen Schimmer, was in ihrer Tochter vor sich geht.
    Marit schaut auf den Computer. Der Monitor ist schwarz, hat sich bereits in den Ruhezustand verabschiedet, um die Batterie zu schonen. Sie darf mit diesem Familienkram jetzt keine Zeit verplempern. Das ist eine Sackgasse.
    »Danke, ich will keine Limo«, sagt sie, um einen neutralen Tonfall bemüht.
    Ihre Mutter öffnet den Mund und atmet tief ein, als wolle sie zu einer Standpauke ansetzen, überlegt es sich anders, knurrt bloß: »Na, dann eben nicht«, und geht. Kneift, weil sie zu feige ist, nachzuhaken. Lediglich der Duft zitroniger Frische hält noch etwas länger die Stellung.
    Marit schluckt. Ihre Spucke ist zäh wie Kleister, so wenig hat sie getrunken, nur einen halben Becher Kaffee zum Frühstück. Und die hausgemachte Zitronenlimonade ihrer Mutter ist exzellent, nicht zu süß, weil sie kanadischen Ahornsirup statt Zucker verwendet. Vor einigen Jahren hat ihr Vater probeweise ein Eis produzieren lassen, das auf dem Limonadenrezept basierte, aber weil die Zutaten den Preis in die Höhe trieben, erwies sich das Produkt als nicht marktfähig.
    Egal – weiter jetzt. Scharig. Scharig 90 . Marit klickt nochmals auf das Profil und betrachtet die stark nachbearbeiteten Fotos, die Zoé als Mordopfer zur Schau stellen. Nach geraumer Zeit hat sie

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