Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
Vom Netzwerk:
warm und ein bisschen trocken. Ihre Berührung kribbelt. Ich frage mich, ob es bei ihr wohl auch kribbelt. Ich will gerade etwas Dummes sagen, als Tayshawn sich zu uns gesellt.
    Sarah zieht ihre Hand weg. »Ich habe Micah eben gefragt, ob sie mir in Bio hilft.«
    »Aha«, sagt Tayshawn. Er zieht sich einen Stuhl heran und setzt sich. Seine Augen sind gerötet, und er ist ein wenig verschwitzt, so als wäre er eben gelaufen. Ich mache mich innerlich bereit für das, was er sagen wird. Ist er sauer, weil er uns beide alleine vorgefunden hat mit Sarahs Hand auf meiner? Glaubt er, wir schließen ihn aus? Wird er deswegen Stress machen?
    »Erin Moncaster ist nicht tot«, verkündet er und schaut uns dabei beide an.

NACHHER
    Erin Moncaster wurde in einem Hotel in Fort Lauderdale gefunden, zusammen mit ihrem zwielichtigen achtzehnjährigen Freund. Jetzt ist sie zurück in New York und wieder in der Schule.
    Im Unterricht wird jetzt nicht mehr über mich geredet. Erin, die Schlampe, ersetzt Micah, die Lügnerin und mögliche Mörderin.
    Später am Tag zwischen der fünften und sechsten Stunde
sehe ich sie. Sie spielt ihre Rolle gut, geht den Gang entlang mit zu viel Schminke auf blasser, weißer Haut, so schrill wie ein Clown. Der kurze Rock und das tief ausgeschnittene Top sollen eigentlich eng sein, aber sie ist so dünn, dass beides an ihr herunterhängt, so wie bei diesem Jungen, allerdings sieht sie eher zerbrechlich als Furcht einflößend aus. Sie trägt den Kopf hoch, als wäre ihr alles egal, aber ihre Augen sind gerötet und ihre Lippen zittern.
    Alle glotzen sie an. Die ganze Nummer mit Tuscheln und Kichern, an die ich mich gewöhnt habe. Das kriegt jetzt Erin ab.
    »Hey, Micah«, ruft Tayshawn, der gerade die Treppe herunterkommt.
    Ich winke. Zu meiner Rechten sehe ich, wie Brandon »aus Versehen« mit Erin zusammenstößt.
    »Während dein Typ im Gefängnis ist«, haucht er ihr zu, »kann ich’s dir ja besorgen.« Er leckt sich die Lippen, genau wie bei mir an dem Tag unter der Tribüne, als er mir dasselbe Angebot gemacht hat.
    Ich kann mich nicht erinnern, dass ich mich bewegt habe.
    Meine Hände sind um seinen Hals. Ich drücke Brandon gegen die Wand. Das Amnesty-International-Poster hinter ihm zerreißt, sodass Stacheldraht über seiner linken Schulter schwebt. Mein Gesicht befindet sich nur wenige Zentimeter vor seinem. Er wird rot im Gesicht. Er hustet, ringt nach Luft und zerrt an meinen Fingern.
    Ich trete zurück und lasse ihn fallen.
    »Miststück!«, kreischt er, rutscht zu Boden und reibt sich die Kehle, wo meine Finger rote Spuren hinterlassen haben. »Scheiß Schlampe! Geht auf einen los wie ein
wildes Tier. Hast du das auch mit deinem Freund so gemacht? «
    Schon wieder überkommt mich das Bedürfnis, ihm an die Gurgel zu gehen. Ich mache einen Schritt vorwärts.
    Brandon duckt sich. »Schlampe«, flüstert er.
    »Lass«, sagt Tayshawn, packt mich am Oberarm und zieht mich fort. »Lass den Schlappschwanz doch liegen. Hast dich schon wieder von einem Mädchen zusammenschlagen lassen, Brandon? Das wievielte Mal ist das jetzt diese Woche?«
    Einige Leute lachen.
    »Fuck off. Die ist doch kein Mädchen«, sagt Brandon, aber er nuschelt nur und hält den Blick gesenkt. »Mädchen kämpfen nicht so.« Die Blutergüsse an seinem Hals sind jetzt immer deutlicher zu sehen. »Schlampe.«
    Langsam wird mir klar, was ich getan habe. Ich habe gezeigt, wie schnell und wie stark ich bin. Vor allen. Sollte noch jemand Zweifel daran gehabt haben, dass ich Zach hätte töten können, dann sind die jetzt ausgeräumt. Ich habe das getan, wovor Dad mich immer gewarnt hat. Glücklicherweise hat es kein Lehrer gesehen. Jetzt hängt es davon ab, ob Brandon petzt oder nicht. Aber zumindest wird er jetzt Respekt vor mir haben.
    »Hör auf, mich anzuschauen«, sagt Brandon so leise, dass es wohl keiner außer mir hören kann.
    »Warum sollte ich dich denn anschauen?«, frage ich. »Da gibt es doch nichts zu sehen.«
    »Komm jetzt«, sagt Tayshawn und zieht mich weg. Der Gang hat sich allmählich geleert. Offenbar hat der Unterricht begonnen.
    Wir gehen an Erin vorbei. Sie starrt mich an. Ob sie
wohl dankbar ist, dass ich Brandon von ihr weggezogen habe? Obwohl ich das eigentlich gar nicht für sie getan habe. Erin tut mir nicht leid, aber ich hasse Brandon. Erin ist ja schließlich nicht tot, oder? Und ihr Freund ist auch nicht tot. Sie ist kein Wolf. In ihrem Leben ist alles gut.
    »Das war krass«, sagt Tayshawn, der

Weitere Kostenlose Bücher