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Luegnerin

Luegnerin

Titel: Luegnerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Justine Larbalestier
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ob uns auch keiner gesehen hatte. Er ging zu Jennifers Schreibtisch hinüber und fing an, sie zu bezirzen, damit sie ihn früher gehen ließ. Es war halb vier. Und wir sollten eigentlich bis vier Uhr räumen.
    Sie ließ ihn gehen. Zach bekam immer, was er wollte.

MEINE GESCHICHTE
    Details. Die sind entscheidend beim Lügen.
    Je mehr man ins Detail geht, desto eher glauben einem die Leute. Aber erzählt nicht zu viel, nicht gleich mit
Details um sich schmeißen – niemals. Zu viele Details bedeuten zu viele Dinge, die sich überprüfen lassen.
    Man muss sich die Informationen aus der Nase ziehen lassen. Sparsam damit umgehen. Ein Detail hier, der Geruch von gerösteten Erdnüssen, und eines dort, das Knirschen von grauem Schnee beim Gehen.
    Plausibilität hat einer meiner Englischlehrer es einmal genannt. Die Einzelheiten, die den Eindruck vermitteln, etwas wäre wahr. Das ist der Kern jeder guten Lüge: eine Geschichte, die Flügel hat.
    Das und euer Bedürfnis, euer alles überdeckendes Bedürfnis, nicht angelogen zu werden. Ihr glaubt mir, weil ihr wollt, dass das, was ich euch sage, die Wahrheit ist. Ganz gleich, wie verrückt es ist.
    Und weil ich versprochen habe, nicht mehr zu lügen.
    Woran ich mich auch gehalten habe: nichts als die Wahrheit.

VORHER
    Es war noch nicht Sommer, aber es fühlte sich so an. Der Frühling war für einen Tag gekommen und gleich war es heiß und schwül geworden. Der Central Park war ganz und gar grün. Nicht wie im Winter, wenn die Stadt sich über die blattlosen Baumgerippe lehnt und dafür sorgt, dass sie niemals außer Sichtweite ist. Der Rückzug der Stadt im Frühjahr machte mich glücklich, aber es war
auch unheimlich: Stadt ist Stadt und Wald ist Wald. Ich mag es nicht, wenn das durcheinanderkommt.
    Es fühlt sich an, als würde ich mich in den Blättern und auf den glitzernden Asphaltwegen spiegeln. Das tut mir im Kopf weh.
    Ich erhaschte Zachs Geruch, sowie ich aus der U-Bahn kam. Ich folgte ihm, sprang über den Zaun in den Park und versuchte dabei, die Bestandteile des Geruchs zu benennen: das Fleischige, der Schweiß und das gewisse Etwas, das alldem zugrunde liegt, etwas Süßes. Keiner roch so wie Zach. Nur Zach.
    Sein Geruch wärmte mich, zog mich an. Als wäre da ein hauchdünner Faden zwischen uns gespannt, mit dem er mich zu sich hinzog. Ihn aufzuspüren, würde noch viel leichter werden, als die Füchse zu finden.
    Ich verfiel in einen Laufschritt und folgte den Molekülen. Wenn sie sichtbar gewesen wären, hätten sie heller als Neonlicht geleuchtet.
    Bevor ich den See erreichte, kreuzte der seltsame Junge meinen Weg. Er wandte sich nicht nach mir um, sondern rannte einfach in seiner wilden und holperigen Art an mir vorbei. Unstet, aber schnell. Er war in kürzester Zeit außer Sichtweite und hinterließ einen scharfen Geruch in der Luft.
    Ich schauderte und setzte meine Verfolgung von Zach fort.

NACHHER
    »Komm jetzt«, sagt Tayshawn und führt mich die Eingangsstufen hinab, auf die Straße hinaus. Wir sind Seniors und dürfen deswegen in der Mittagspause das Schulgelände verlassen. Aber es ist nicht Mittagspause, sondern die fünfte Stunde.
    »Wo gehen wir hin?«
    » Weg«, sagt Tayshawn. »Ich muss dir was erzählen.«
    »Was denn?« Will er über das reden, was passiert ist? Zwischen ihm und mir und Sarah?
    Tayshawn bleibt auf dem Bürgersteig stehen und beugt sich zu mir, um in mein Ohr zu flüstern. »Es waren Hunde«, sagt er. »Zach ist von Hunden umgebracht worden.«
    Meine Knie versagen den Dienst, so als würde das Knochengerüst plötzlich schmelzen. Ich stolpere. Wenn Tayshawn mich nicht festhielte, würde ich fallen. Ich denke nicht an Hunde: Ich denke an Wölfe. Das also hat Brandon gemeint, als er gesagt hat, ich sei wie ein wildes Tier. Werden die Bullen mich jetzt holen?
    Jetzt haben sie mich. Wie soll ich es meinen Eltern sagen?
    Woher weiß Brandon über mich Bescheid? Außer meiner Familie weiß es keiner.
    »Micah«, sagt Tayshawn. Seine Augen sind blutunterlaufen. »Ich weiß.« Er legt den Arm um mich und zieht mich an sich.
    Was werden sie mit mir machen?
    »Ich weiß«, sagt er wieder. Seine Stimme klingt belegt, so als bemühe er sich, nicht zu weinen. »Wie können Hunde ihn getötet haben?«

    Hunde. Tayshawn meint nicht mich. Ich hole Luft. Er verzieht den Mund zu einer schiefen Grimasse. Er schaut mich an, aber nicht anklagend. Der Gedanke, dass ich ein Wolf sein könnte, ist ihm gar nicht gekommen. Ebenso wenig wie anderen

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