Luftkurmord
stand, grenzte an ein kleines
Wunder.
»Aber das wird nicht
immer so bleiben.« Er blickte auf den Kater und strich ihm mit den Fingerspitzen
behutsam über das Fell. Hermann maunzte und versuchte, den Kopf zu heben. Mein
Vater nickte. »Sieh ihn dir an.«
Ich runzelte
verwirrt die Stirn.
»Er ist alt. Er ist
krank. Er wird bald sterben.«
Ich wurde wütend.
»Hat Steffen dich angerufen und dir gesagt, du sollst mich überreden, ihn
einschläfern zu lassen?«
»Was?«
»Ich werde ihn nicht
zum Tierarzt bringen. Das könnt ihr euch abschminken. Er wird es allein bis ans
Ende schaffen, und ich werde bei ihm sein. Das ist sein verdammtes Recht.«
Hermann neigte den
Kopf und betrachtete den Kater.
»Sein verdammtes
Recht«, wiederholte er und lächelte. »Das gefällt mir.«
»Du redest nicht
über den Kater, richtig?« Meine Wut verpuffte.
»Nein, Kind. Ich
rede nicht über den Kater. Obwohl wir Hermänner beide alt sind, hoffe ich doch
auf ein paar Tage mehr als er.«
Seine Worte
irritierten und beruhigten mich gleichzeitig.
»Ich werde nicht
immer so gut dran sein, wie ich es jetzt bin. Dann werde ich Hilfe brauchen.
Und dass so was schneller gehen kann, als man denkt«, er hob den Finger und zog
seine Augenbraue in die Höhe, »hat uns ja die Sache im letzten Jahr gezeigt.«
»Aber du …«,
unterbrach ich ihn, doch er stoppte mich mit einer knappen Geste.
»Ina«, sagte er, und
ich hatte den Eindruck, als ob er den Mut, mir zu sagen, was er sagen wollte,
nach langer Suche nun endlich gefunden hatte. »Ich werde die Wohnung hier
auflösen und in ein Appartement im Altenheim ziehen. Es ist schon alles
geregelt. Betreutes Wohnen. Da bin ich gut aufgehoben, für den Fall der Fälle,
und Olaf und du«, wieder hob er die Hand, um meinen Einwand im Keim zu
ersticken, »müsst euch nicht um mich kümmern. Wobei ihr mich natürlich
jederzeit besuchen kommen könnt«, schloss er mit einem schiefen Grinsen.
Ich war sprachlos.
»Morgen geht’s los.«
»Morgen?« Ich sah
mich um. Jetzt erst fiel mir auf, wie aufgeräumt die Küche wirkte. Nichts stand
oder lag herum, sogar der Korb für das Altpapier war leer.
»Ich habe die Sachen
eingepackt, die ich mitnehmen möchte. Alles andere werde ich in den nächsten Wochen
verschenken. Du und Olaf könnt euch aussuchen, was ihr haben wollt. Der Rest
geht weg. In vier Wochen ist die Wohnung leer, und du kannst richtig einziehen.
Wenn du das willst, heißt das. Ich kenne deine Pläne ja nicht. Vielleicht
willst du ja auch lieber mit Steffen …« Er stoppte seinen Redeschwall und
räusperte sich. »Sonst können wir die Wohnung vermieten.«
Ich fühlte mich
überrumpelt. Das ging mir alles ein bisschen zu schnell.
»Warum machst du
das, Pap? Du bist nicht alt. Dir geht es gut. Olaf und ich wohnen beide in
deiner Nähe. Du hast es doch nicht nötig, ins Altenheim zu ziehen.«
Hermann lachte. Es
klang nicht zynisch, sondern befreit.
»Richtig, Kind. Und
genau deswegen mache ich es.« Er rieb seine Handflächen aneinander und stand
auf. »Möchtest du noch einen Kaffee?«
»Weiß Olaf davon?«
»Ich sage es ihm,
wenn er wieder da ist.«
»In zwei Wochen?«
»Soll ich ihn etwa
in seinem Urlaub damit belästigen?«
»Olaf hat all die
Jahre hier mit dir im Haus gelebt. Ich glaube, in seiner Vorstellung kam das
Wort Altenheim in Verbindung mit deiner Person nicht vor.«
Hermann nickte. »Und
das war ein großer Fehler. Meiner und seiner. Vor allem aber meiner.« Er legte
ein Stück Torte auf seinen Kuchenteller und setzte sich wieder. »Es wäre
vielleicht vieles nicht passiert von dem, was passiert ist, wenn ich nicht so
selbstverständlich all die Jahre über ihn verfügt hätte. Das tut mir leid, und
das wird sich ändern. Punkt.« Er stach die Gabel in den Kuchen, als ob er ihn
erst erlegen müsste.
Ich stocherte in
meiner Sachertorte herum und sortierte die Krümel wie einzelne Bestandteile
meines Lebens auf dem Teller. Es stimmte. Hermann hatte Olafs Leben stark
beeinflusst. Aber Olaf hatte sich auch beeinflussen lassen. Geben und Nehmen.
Auf beiden Seiten. Erst die Ereignisse im letzten Sommer hatten die
Verhältnisse durcheinandergewirbelt und Olaf sein Leben überdenken lassen, nachdem
die Wunden verheilt waren, die Michelle Steuwen in der kurzen Zeit ihrer
Beziehung geschlagen hatte.
»Wir hätten darüber
reden sollen. Vorher«, sagte ich und schob einen Krümel so weit an den Rand des
Tellers, dass er herunterfiel. Hermann hatte das vermutlich seit
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