Luftkurmord
lieber
ist.«
»Vielen Dank.«
Unschlüssig blieb ich stehen.
»Ja?« Sie schaute
von der Liste auf, der sie sich wieder zugewandt hatte. Ich lächelte,
schüttelte den Kopf und ging durch die Tür auf der linken Seite. Ich konnte sie
nicht einfach fragen, ob mein Vater problemlos wieder aus dem Vertrag
rauskommen und ausziehen könnte, auch wenn ich es sehr gerne gemacht hätte.
Der Fahrstuhl surrte
leise, während er mich in die dritte Etage brachte. Vor der Tür am Ende des
Ganges blieb ich stehen und zögerte. Hermann Stein. Sein Name war schon unter
Plexiglas gefasst. Sollte ich anklopfen? Einfach hineingehen, wie ich es zu
Hause gemacht hätte? Ich lauschte, aber hinter der Tür meines Vaters war alles
still. Gedämpftes Husten drang aus einem Zimmer weiter vorne. Ich hob die Hand
und klopfte. Nichts.
»Pap?«, rief ich und
drückte die Klinke hinunter. Die Tür war verschlossen. Ich schaute auf meine
Armbanduhr. Abzüglich des Verspätungszuschlags war es ungefähr fünf Uhr am
Nachmittag. Wo war Hermann? Vielleicht noch einmal in die Wohnung gefahren, um
persönliche Dinge abzuholen? Ich kramte mein Handy hervor und wählte die Nummer
seiner alten Wohnung. Niemand hob ab. Frustriert drehte ich mich um und ging
langsam den Flur entlang. Ich hatte mich auf das Gespräch mit Hermann gefreut,
auch wenn ich mir sicher war, dass wir uns wieder gestritten hätten. Es half
mir, wenn ich meine Gedanken vor ihm ausbreiten, auseinandernehmen und dann
wieder sortieren konnte.
Diesmal nahm ich die
Treppe nach unten, öffnete mit Schwung die Tür zum Flur und wäre beinahe mit
dem Mann in Weiß zusammengestoßen, der mir, in eine Akte vertieft, entgegen
kam.
»Thomas!«
Er blickte auf,
stutzte und strahlte mich dann an. »Ina.«
»Was machst du
hier?«, setzten wir beide gleichzeitig an und verstummten wieder.
»Ich arbeite …«
»Meinen Vater suchen …«
Wieder sprachen wir
in derselben Sekunde. Wir mussten beide lachen, und Thomas bedeutete mir mit
einer Handbewegung, dass er mir den Vortritt geben würde.
»Hermann hat
beschlossen, Olaf und mir nicht zur Last fallen zu wollen, und sich hier eine
der betreuten Wohnungen gemietet«, beantwortete ich seine Frage. »Mir gefällt
das nicht, und ich will ihn davon abbringen. Deswegen bin ich hier.« Ich
schaute ihn fragend an. »Arbeitest du nicht mehr im Mechernicher Krankenhaus?«
Nachdem er mich und
Hermann dort im letzten Sommer erfolgreich behandelt hatte, war unser Kontakt
wieder eingeschlafen. Thomas und ich waren ehemalige Schulkameraden und hatten
uns zuvor schon einmal aus den Augen verloren. Obwohl wir einander nach unserem
Wiedersehen versprochen hatten, doch auf jeden Fall mal einen Kaffee zusammen
zu trinken, war immer wieder etwas dazwischengekommen.
Thomas verneinte und
blickte auf seine Uhr. »Zeit für eine kleine Verschnaufpause?«
Ich zuckte mit den
Schultern. Hermann war nicht da, und ich wusste nicht, wann er wiederkommen
würde. Ich dachte an Henrike, den Kater und Steffen, die alle mehr oder weniger
auf mich warteten. Mit Sorgen, mit Krankheit und, in Steffens Fall, mit einem
nach wie vor nicht geklärten Streitpunkt. Eine kleine Auszeit erschien mir gerade
außerordentlich verlockend. »Warum nicht? Auf zehn Minuten mehr oder weniger
kommt es jetzt auch nicht mehr an.«
Ich folgte Thomas in
einen kleinen Mitarbeiterraum, in dessen Ecke eine Kaffeemaschine stand. Die
Kanne war leer.
»Ist Wasser auch in
Ordnung?«, fragte er, fischte eine Flasche aus einem Kasten und goss zwei
Gläser voll.
»Ich bekomme sowieso
irgendwann einen Koffeinschock, wenn ich so weitermache.« Ich grinste ihn an.
Seine Haare waren grauer geworden und um seine Augen hatten sich einige Falten
eingeschlichen, die vor einem halben Jahr nicht da gewesen waren. Ich
verschränkte die Arme vor meiner Brust. »Also. Was machst du hier?«
»Ich besuche einige
meiner Patientinnen. Ich habe vor ein paar Monaten eine Praxis hier in Gemünd
übernommen. Das ist so etwas wie ein Reihenhausbesuch.«
»Oh fein.« Ich
freute mich wirklich für ihn, aber seine Reaktion war sehr verhalten.
»Es ist anders, als
ich es mir vorgestellt hatte. Dieser ganze Papierkram bringt mich noch um. Bis
tief in die Nacht hänge ich über Anträgen, Formularen und anderem Mist.« Er
seufzte.
»Was meint deine
Frau dazu?«
Er lachte bitter.
»Ich weiß nicht, was sie aktuell dazu meint. Aber als sie mich verlassen hat,
fand ich ihre Aussage sehr deutlich.«
»Puh.« Ich blies
eine
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