Luftkurmord
warf
ihre Tasche auf den Beifahrersitz und stieg ein.
»Fahr los.«
»Wohin?«
»Nach Gemünd. In den
Kurpark.«
»Warum bist du eingestiegen?«
»Weil ich nicht so
über dich denken will.« Sie starrte durch die Windschutzscheibe auf die Straße.
»Weil ich nicht so über mich denken möchte. Weil ich will, dass du mir
erklärst, was Hansen mir da eben gesagt hat.« Sie fingerte am Kragen ihrer
Uniformbluse herum. »Ich will nicht mit einem Junkie geschlafen haben.« Sie sah
ihn an.
»Reicht es, wenn ich
dir sage, dass es vorbei ist?«
»Nein.«
»Es ist vorbei, weil
ich es nicht mehr wollte. Das, was es mit mir gemacht hat.«
»Warum hast du es
mir nicht gesagt?«
»Wem hätte ich es
sagen sollen? Der Polizistin? Und dann?«
»Wenn ich
sorgfältiger gearbeitet hätte …«
»Wärst du dann zu
mir gekommen?«
»Nein.« Sie wandte
den Kopf und sah ihn an. »Nicht so.«
»In der Hauptsache
habe ich das Zeug für mich gebraucht. Der Verkauf diente nur dazu, es zu
finanzieren.«
»Warum hast du es
gebraucht?«
»Es hat mir
geholfen, so zu sein, wie ich sein wollte.«
»Wie wolltest du
sein?«
»Anders. Nicht so,
wie ich war.«
»Und jetzt bist du
so, wie du sein willst?«
Kai zögerte. Dann
lächelte er. »Nein. Aber ich kann besser damit leben.«
»Hast du sie
wirklich nur gefunden?«
Kai brauchte einen Moment,
bis er begriff, was sie meinte.
»Die Tote?«
»Regina Brinke.«
»Ja.«
Sie hatten die
Kreuzung in Gemünd erreicht. Niemand beachtete sie. Kai setzte den Blinker, bog
nach links ab und folgte der Straße. An der Bushaltestelle oberhalb der
Dreiborner Straße hielt er an und schaltete den Motor aus.
»Wenn es dir lieber
ist, dann kannst du hier aussteigen.«
»Habe ich dich
verletzt mit der Frage?«
Kai lachte und
lauschte erstaunt auf den fremden Klang im Inneren seines Wagens. »Nein. Du
hast mich nicht verletzt. Du bist eine Polizistin. Du musst so etwas fragen.«
Er zögerte. »Ich bin wegen dir zurückgekommen, Judith.«
Judiths Hand lag auf
dem Türgriff. Sie holte tief Luft. Atmete. Einmal. Zweimal. »Ich vertraue dir«,
sagte sie und legte ihre Hand auf den Sitz.
»Bevor ich die
Polizei alarmiert habe«, Kai umklammerte den Autoschlüssel, »habe ich die Tote
eine Zeit lang nur angesehen.«
Judith nickte. »Du
kannst losfahren, wenn du möchtest.«
SIEBEN
»Na? Geht doch.« Hans hatte sie auf dem Nachhauseweg
eingeholt und stieß sie mit dem Ellenbogen in die Seite. Sie lachte fröhlich,
aber für Erich klang es wie Häme und Spott. »Keiner hat was gemerkt, und ich
bin gerettet.«
»Ich
habe eine vier bekommen.«
»Bei
dir ist es doch nicht so schlimm, aber ich wäre sitzen geblieben.«
Erich
schwieg.
»Danke«,
sagte Hans und hakte sich bei ihr unter. »Es war wirklich nett von dir, mir zu
helfen.«
»Hat
sie mit dir gelernt?« Franz rollte mit ihrem Fahrrad dicht an die beiden heran.
»Das ist nicht nur nett, Erich, das ist eine wahre Heldentat!« Sie kicherte.
»Mathe ist für Hans doch sonst ein Buch mit sieben Siegeln. Dass sie diesmal
eine Eins geschrieben hat, grenzt an ein Wunder.« Sie trat in die Pedale und
winkte. »Ein großes Wunder«, rief sie über die Schulter und fuhr davon.
»Sie
weiß es nicht? Du hast ihr nichts erzählt?« Erich blieb stehen, zog ihren Arm
aus der Verbindung und trat einen Schritt zur Seite.
»Was
hätte ich ihr erzählen sollen? Dass du meine allerbeste Freundin bist? Dass du
mir hilfst?« Hans schnappte wieder nach ihrem Arm und umklammerte ihn. »Du bist
doch meine beste Freundin, oder?«
»Das
mit der Mathearbeit.« Erich versteifte sich. Sie war wütend. Sie war traurig.
Beides zusammen. Ihre Trauer und ihre Wut verknoteten sich in ihrer Brust und
schnürten ihr die Luft ab. Trotzdem schaffte sie es nicht, Hans wegzustoßen und
davonzulaufen, wie sie es gerne gemacht hätte. Sie hatte Angst vor dem, was
dann passieren würde. Sie spürte, wie ihr Herz raste.
»Nein.«
Hans lachte. »Vergiss sie einfach. Und jetzt lass uns zu dir nach Hause gehen
und lernen. Bei der Englischarbeit brauche ich auch«, sie machte eine Pause und
grinste, »Hilfe.«
***
Ich versuchte
mich auf das, was vor mir lag, zu konzentrieren, während ich den Käfer die
steilen Kurven der Dürener Straße hinaufzwang. Für einen Moment nicht an
Regina, Andrea und die Rolle von Frank Vorhaus in diesem ganzen Spiel denken.
Nicht an Judith.
Hansens Erlaubnis,
mich in Reginas Wohnung umzusehen und mit Frank Vorhaus zu sprechen, war weit
mehr, als ich
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