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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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ich
antworten und Hermann zu Hilfe kommen konnte, war die Empfangsdame bereits bei
den beiden. Sie redete beruhigend auf Alfons Brinke ein, nickte, lächelte und
führte ihn zu einem der Sessel in der Nähe des Ausgangs. Dann winkte sie einen
Pfleger herbei. Der junge Mann reichte Alfons Brinke den Arm, hob die Tüte mit
der Flöte auf und begleitete ihn in einen Gang, der zu den Zimmern im
Erdgeschoss führte.
    »Jemand wird sich um
ihn kümmern müssen«, hörte ich Hermann sagen, als er wieder zu mir und Amalie
Eckholz zurück an den Tisch kam. »Jetzt, wo Regina nicht mehr lebt.«
    »Dazu ist er ja
hier, Pap. Die Pfleger wissen sicher, was zu tun ist, damit es ihm gut geht.«
    Hermann spitzte die
Lippen und nickte bedächtig. »Er wird einen Freund brauchen. Manchmal hat er
Momente, da erscheint er mir fast klar.«
    Amalie Eckholz
räusperte sich. »Wäre eine weitere Unterstützung willkommen?« Ihr Lächeln
wirkte auf mich trotz der vielen Falten um ihren Mund und ihre Augen wie das
verschmitzte Lächeln eines jungen Mädchens. Hermann zögerte einen Augenblick
und sah Amalie Eckholz nachdenklich an. Dann lächelte er ebenfalls.
    »Darf ich Ihnen noch
einen Tee holen, Frau Eckholz?«, fragte er mit einer leichten Verbeugung in
ihre Richtung, und ich hatte das starke Gefühl, dass ich mein Vorhaben, ihn
wieder nach Hause zu holen, für heute komplett würde vergessen können.
    »Pap«, versuchte ich
einen letzten Vorstoß, als er mit einem Tablett beladen zu uns an den Tisch
zurückkam, wurde jedoch vom Klingeln meines Handys unterbrochen. Es war
Steffen.
    »Hat Andrea sich
gemeldet?«, begrüßte ich ihn, stand auf und ging einige Schritte auf den
Ausgang zu, um einen besseren Empfang zu haben.
    »Nein.« Er machte
eine Pause, und ich hörte, wie laute Musik eingeschaltet wurde.
    »Wo bist du?«
    »Zu Hause. Henrike
ist bei mir. Ich habe sie und Hermann bei Birgit abgeholt.«
    »Ist alles in
Ordnung?«, fragte ich und spürte, wie die Angst um den Kater sich wieder wie
ein dichter Nebel über alles andere ausbreitete und sich mit Macht in den
Vordergrund drängte.
    »So weit ja. Henrike
ist nervös wegen Andrea.«
    »Hast du mit Birgit
gesprochen?«
    »Die war nicht da,
als ich kam. Sie wollte noch zum Einkaufen.«
    »War Frank schon zu
Hause?«
    »Nein. Warum?«
    »Ich muss mit den
beiden sprechen. Aber erst morgen.«
    »Wann kommst du nach
Hause?«
    Ich biss mir auf die
Lippen und war froh, dass Steffen mich in diesem Moment nicht sehen konnte.
Nach Hause. Was war mein Zuhause? Hermanns halb ausgeräumte Wohnung, in der
sich auf einem Stuhl im Gästezimmer meine Klamottenberge türmten? Steffens drei
Zimmer mit Blick auf den Wald, der sich unmittelbar an einen kahlen Hinterhof
mit einer Reihe alter Garagen anschloss?
    »Ich bin im
Altenheim bei Hermann. Es dauert noch.«
    »Okay.« Ich hörte
ihn atmen. »Ina?«
    »Ja.«
    »Er hat etwas
gefressen und es allein zum Klo geschafft.«
    Ich lächelte. Zu
Hause.
    »Danke, Steffen.«
    ***
    Es gibt Momente,
da wünsche ich mir, dumm zu sein. Unbelastet von allen Konsequenzen, von zu
Ende gedachten Gedankenwegen, ihren Möglichkeiten und dem daraus
resultierenden, aufgesetzten Optimismus.
    Das hier war so ein
Moment. Und ich war unendlich müde.
    Durch die Rollos an
Steffens Schlafzimmerfenster fielen die letzten Sonnenstrahlen des Tages auf
das Bett und versahen meine Beine mit einem surrealen Muster aus dunklen
Schatten und flirrendem Licht. Meine Finger krochen durch das Fell des Katers.
Hermann schnurrte, lehnte seinen Kopf an meinen Bauch und schloss die Augen. Er
machte wirklich einen besseren Eindruck als heute Morgen. Trügerische Hoffnung.
Aber er lebte. Heute. Jetzt. Ich spürte seine Wärme durch den Stoff meines T-Shirts
hindurch und stellte mir vor, wie es sein würde, einfach hier liegen zu
bleiben. Sich den Ansprüchen und Forderungen, die von allen Seiten auf mich
einströmten, zur Abwechslung mal nicht zu stellen. Sich zu verstecken in dieser
Höhle, und nicht mehr rauszukommen, bis sich alle Probleme in Luft aufgelöst
hätten.
    Leise Schritte
näherten sich der verschlossenen Tür, verharrten und entfernten sich wieder.
Henrike. Ihre Sorge um Andrea kippte in Verzweiflung um. Ich musste etwas tun,
schon allein, um Henrike zu beruhigen. Es würde nichts nutzen, ihr zu erklären,
dass nach einer erwachsenen Frau, die mit ihrem Wagen weggefahren war und zudem
auch noch den Rucksack mitgenommen hatte, nicht so schnell eine Fahndung
ausgeschrieben werden

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