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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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würde. Darum ging es letztendlich auch gar nicht. Henrike
hatte Angst um ihre Mutter, befürchtete, dass ihr etwas passiert war und wir
nur noch nichts davon wussten. Vielleicht sah sie sie in ihren Vorstellungen
blutüberströmt in einem Gebüsch am Straßenrand liegen, ohne Chance darauf,
entdeckt zu werden. Ich wehrte mich gegen solche Bilder. Versuchte, pragmatisch
zu bleiben und mich von meiner eigenen Sorge nicht überwältigen zu lassen. Ich
überlegte, ob ich den Fachdienst in Euskirchen aktivieren sollte. Wir in
Schleiden waren dafür nicht zuständig. Alles, was über einfache Vergehen
hinausging und als mittlere oder schwere Kriminalität angesehen wurde, landete
auf den Schreibtischen der Kollegen in der Kölner Straße. Auch die
Vermisstensachen. Aber mir war auch völlig klar, wie die Reaktion sein würde.
Ich konnte die entsprechende Stelle beinahe auswendig, so oft hatte ich sie
gelesen. Da war vom »Vollbesitz der geistigen und körperlichen Kräfte« die
Rede, die ich Andrea zu keinem Zeitpunkt absprechen würde, und von dem »Recht,
den Aufenthaltsort frei zu wählen«. Ich wollte Henrike nicht erklären müssen,
dass erst ein »begründeter Verdacht auf Gefahr von Leib und Leben« vorliegen
müsste, bevor irgendjemand auch nur einen Finger rühren würde. Die Beteuerungen
der Tochter und der Freundin der Verschwundenen reichten da bei Weitem nicht
aus. Auch wenn die Freundin eine Polizistin war. Der Schutz der
Persönlichkeitsrechte ging erst einmal vor. Jeder erwachsene Mensch hatte
theoretisch das Recht, aus seinem Leben einfach so zu verschwinden, ohne
Rechenschaft darüber ablegen zu müssen. Ich schloss die Augen und lauschte auf
Hermanns gleichmäßigen Atem, der meine Gedanken begleitete und mich zur Ruhe
kommen ließ, als es klopfte.
    »Ja?«, sagte ich
halblaut, um den Kater nicht zu erschrecken, und setzte mich auf.
    »Gibt es etwas
Neues?« Steffen wies mit einem Kopfnicken auf mein Handy, das neben mir und
Hermann auf der Bettdecke lag.
    »Nein.«
    »Hast du mit Hansen
über Regina gesprochen?«
    »Ja, kurz.«
    »Und, was hat er
gesagt?«
    »Nicht viel.«
    Steffen zog die
Augenbraue hoch und musterte mich. »Keine Lust zu reden?«
    Ich erwiderte seinen
Blick. Nein, ich hatte keine Lust. Ich wollte allein mit Hermann in meiner
Höhle hocken und meinen Gedanken nachhängen. Aber das konnte ich weder sagen,
geschweige denn es einfordern, ohne als Egoistin dazustehen. Ich holte tief
Luft.
    »Die Akten zum
Lorbachtal sind aus dem Rathaus verschwunden, Frank Vorhaus arbeitet für die
ausführende Baufirma als Projektleiter in der Sache, und es sieht ganz so aus,
als ob bei der Erteilung der Genehmigung nicht alles mit rechten Dingen
zuging.«
    »Was meinst du
damit?«
    »Der Bürgermeister
hat die Sache nicht abgesegnet. Trotzdem hat Regina die Genehmigung erteilt.«
    »Die ganze Sache
stinkt gewaltig.« Steffen setzte sich neben mich auf das Bett und stützte sich
mit einer Hand ab. »Ich habe mich heute ebenfalls mal erkundigt. Die
Nationalparkverwaltung muss die Sache durchwinken, weil das Grundstück mitten
im Nationalpark liegt.«
    »Und, haben sie?«
    »Nein!«, wehrte
Steffen ab. »Im Gegenteil. Sie sagen, dass die Zeitungsmeldung eine Ente sein
muss. Niemand weiß von einer Genehmigung.«
    »Glaubst du das?
Immerhin haben wir eine Kopie, auch wenn die Originalakten verschwunden sind.
Vielleicht haben sie es, aus welchem Grund auch immer, doch gemacht und
behaupten jetzt etwas anderes?«
    »Warum sollten sie?«
    Ich zuckte mit den
Schultern. »Dann hat vielleicht einer ohne offizielle Zustimmung den Stempel
draufgesetzt? Nach entsprechender Zahlung, versteht sich.«
    »Wir machen keinen
Schmu.«
    »Irgendwer muss aber
Schmu gemacht haben, sonst gäbe es die Kopie ja nicht.«
    »Du glaubst doch
nicht allen Ernstes, die Nationalparkverwaltung hätte es nötig –«, begann
Steffen in scharfem Ton, wurde aber vom Klingeln meines Handys unterbrochen.
Ich griff danach und sah auf das Display. Erleichterung machte sich in mir
breit. Andrea.
    »Hallo! Wo bist
du?«, rief ich aufgeregt. Es knackte. »Hallo? Andrea?«
    Rauschen und
dahinter einzelne Wortfetzen.
    »Ina, du musst …«,
verstand ich, dann knirschte und knackte es wieder. Mir wurde kalt. In den
wenigen Worten lag eine Dringlichkeit, die mir Angst machte.
    »Andrea!«, rief ich
und presste das Handy an mein Ohr. »Wo bist du?«
    »Mama?« Henrike
stürmte ins Zimmer. »Ist da Mama? Gib sie mir!« Sie streckte die Hand aus,

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