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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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hätte erwarten können. Trotzdem musste ich mich gedulden. Ein
notwendiger Kompromiss.
    Ich war auf dem Weg
zum neuen Zuhause meines Vaters. Hinter der ersten Rechtskurve lag das
Altenheim hoch über Gemünd an den Berghang gebaut wie eine dieser
Alpenkliniken. Die abschüssige Einfahrt schlängelte sich von der Hauptstraße
aus serpentinenartig bis vor den Haupteingang. Ich fuhr daran vorbei und parkte
den Käfer auf einem der Besucherparkplätze, die direkt an die Grünanlagen des
Altenheims grenzten. Ich stieg aus, lehnte mich an den Wagen und schaute mich
um. Es war Ewigkeiten her, dass ich zuletzt hier oben gewesen war. Das Gebäude
wirkte hell und freundlich. Trotzdem wollte ich noch nicht direkt hineingehen.
Ein paar Minuten fernab von allem würden mir guttun.
    Ich folgte dem
schmalen Pfad um das Haus herum und wandte mich nach links, den Berg hinunter.
Nach wenigen Schritten hatte ich die beiden Teiche erreicht. Eine Bank stand
ganz in der Nähe. Eine ältere Dame saß mit sehr geradem Rücken darauf und
bedachte mich mit einem kurzen Nicken. Ich grüßte stumm zurück und nahm neben
ihr Platz. Dann schloss ich die Augen und lauschte auf die Geräusche des
Wassers und des Waldes hinter mir. Ruhe. Es dauerte eine Weile, bis mir klar
wurde, dass die sanften Töne, die leise im Hintergrund schwebten, von einer
Flöte stammen mussten.
    »Das hatten wir hier
bisher noch nicht. Privatkonzerte. In diesen Genuss kommen wir erst seit
Kurzem.«
    Ich schreckte
zusammen und schlug die Augen auf. Die Stimme der alten Dame klang wie ein
Reibeisen. Heiser. Wenig benutzt. Sie räusperte sich. »Seit zwei Tagen. Jeden
Morgen, jeden Mittag und auch am frühen Abend.«
    »Er spielt sehr
schön.« Die ersten Töne von »Alle Vögel sind schon da« suchten sich ihren Weg
über das Tal.
    Die alte Dame stand
auf, stützte sich auf ihren Stock und machte sich an den Aufstieg.
    »Soll ich Ihnen
behilflich sein?« Ich erhob mich ebenfalls.
    »Danke. Das muss ich
noch allein schaffen.« Sie lächelte mich an. »Aber Sie können mich begleiten.«
    Langsam ging ich
neben ihr her.
    »Besuchen Sie
jemanden?«, fragte sie nach wenigen Schritten.
    »Meinen Vater.«
    »Das ist nett.«
    »Er ist heute erst
eingezogen.«
    Sie lachte bitter.
»Und jetzt haben Sie ein schlechtes Gewissen, weil Sie Ihren Vater abgeschoben
haben?«
    Ich blieb stehen,
überrascht von ihrer Direktheit. »Nein. Ich habe ihn nicht abgeschoben!«
    »Sondern?« Sie ging
einfach weiter.
    »Er hat sich selbst
dazu entschlossen.«
    Wieder dieses
Lachen. Rauer diesmal. »Aus eigenem Entschluss?« Wir hatten den Parkplatz
erreicht. »Interessanter Mensch. Den werde ich mir mal genauer ansehen, Ihren
Herrn Vater.«
    »Tun Sie das«,
murmelte ich, überholte sie und ging mit schnellen Schritten auf den Eingang
zu.
    Drinnen empfing
mich eine Mischung aus Hotellobby und Klinikatmosphäre. Der Empfangsbereich war
in freundlichen, gediegenen Farben gehalten. Viel Holz. Zur linken Seite hin
öffnete sich ein größerer Raum mit vielen Tischen, an denen allein oder in
kleinen Gruppen Leute saßen. Auf der rechten Seite hatten sich hinter einer
niedrigen Abtrennung mehrere Bewohner des Altenheimes in einem Kreis
niedergelassen. Sie saßen auf Bänken oder in ihren Rollstühlen und blickten
alle auf eine Frau, die ich von meinem Standpunkt aus nicht sehen, aber
deutlich hören konnte. Auf ihre Ansage hin hoben sich Arme und Schultern,
kreisten Knie und Füße. Sitzgymnastik. Ich registrierte die grauen Haare, die
langsamen Bewegungen und fühlte mich vollkommen fehl am Platz. Diese Menschen
waren alt. Alte Leute. Was wollte mein Vater hier? Hermann war nicht alt. Nicht
so. Ich versuchte mir vorzustellen, dass er in einem dieser Stühle säße. Es
ging nicht. Er gehörte nicht hierher. Ich musste ihm die Sache wieder ausreden.
    Eingerahmt von einer
holzummantelten Säule und Wandschränken aus dem gleichen Material saß eine Frau
hinter dem Empfangstresen. Ihr Anblick erinnerte mich an die Begegnung mit dem
Eisklotz in Burtscheid. Das war aber auch schon die einzige Gemeinsamkeit. Ihr
Lockenkopf wippte freundlich, als ich auf sie zuging und über den
Empfangstresen hinweg meine Bitte vortrug.
    »Sie suchen Herrn
Stein?« Wieder strahlte sie mich an. »Sie sind sicher seine Tochter.« Ich
nickte.
    »Durch die Tür, mit
dem Fahrstuhl in den dritten Stock, dann links den Gang hinunter bis zur
letzten Tür. Sie können natürlich auch die Treppe nehmen, wenn Ihnen das

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