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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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Wieso war sie hier? Sie erinnerte sich nicht. Über der Oberfläche des
Wassers erkannte sie ein Gewirr aus Blättern, Ästen und Schlingpflanzen. Und
darüber die Dämmerung, die aus ihrem Kopf, aus ihren Gedanken zu fließen schien
und sich damit verband. Ihr Inneres mit dem Draußen verknüpfte. In ein paar Stunden
würde es Tag sein. Dann würde die Sonne hoch über dem Bachlauf stehen und
Kinder mit ihren Schwimmreifen über sie hinweggleiten.
    Sie
runzelte die Stirn. Die Vorstellung gefiel ihr nicht. Es war nicht gut, wenn
Kinder allzu früh mit dem Tod konfrontiert wurden. Diesmal wäre es wirklich
ihre Schuld. Nicht so wie damals, als sie gedacht, so viel gedacht und sich
schuldig gefühlt hatte. Sie hatte die Schuld auf sich genommen und ein ganzes
Leben lang mit sich herumgeschleppt. Aber erst, als sie erkannt hatte, wo die
wirkliche Schuld lag und wer sie trug, musste sie die Rechnung bezahlen. Es war
zu spät.
    Das
Wasser verschloss ihre Lippen. Sperrte ihre Worte ein. Trennte das Außen vom
Innen.
    Ihre
Lungen brannten, und der Zwang, nach der Luft zu schnappen, die wenige
Zentimeter über ihrem Gesicht flirrte, wurde übermächtig. Ihr Körper reagierte
schneller als ihr Geist. Die Muskeln in ihren Armen zuckten. Sonst geschah
nichts. Sie war gelähmt.
    Erinnerungsfetzen
wirbelten durch ihre Gedanken. An das Gefühl von feuchtem Gras unter ihren
nackten Füßen, als sie vorhin schwankend über die Wiese gegangen war, die
Schuhe in der Hand.
    Und
davor? Sie hatte getrunken. Sie hatte geweint.
    »Ich
helfe dir bei dem, was du tun willst, Regina.« Die Stimme war wie ein Nachhall
in ihrem Kopf. Die Ahnung einer Hand an ihrem Oberarm. Fest. Bestimmend. Die
sie immer weiter über die Wiese zerrte. Sie hatte sich gewehrt. Hatte versucht,
gegen die lähmende Müdigkeit anzukämpfen. Vergeblich. Ihr Denken flirrte wie
das Wasser über ihr. War gestürzt und wieder aufgerichtet worden.
    »Jeder
wird dich verstehen.«
    Das
Metall des Geländers. Die Äste in ihrem Gesicht, als sie an dem kurzen Abhang
stand. Sie hörte das Rauschen über dem Wehr, roch die modrigen Uferstellen.
    »Geh,
Spätzlein.«
    Sie
hatte gezögert, weil etwas nicht stimmte. Hatte über die Schulter gesehen und
die Fragen, die sie selbst nicht verstand, gestellt. Sie konnte es nicht
greifen. Sie wollte gehen. Sie wollte … Nein, sie wollte nicht gehen. Sie hatte
mit der Hand über ihre Stirn gestrichen, ihre Gedanken eingesammelt und sie
miteinander verbunden. Da war Liebe anstelle der Einsamkeit. Da war Vertrauen
anstelle der Schuld. Da war endlich wieder Hoffnung anstelle der Verzweiflung
gewesen.
    Nein.
    Dann
der Stoß. Im Fallen hatte sie sich gedreht und nach Halt gesucht. Aber da war
nichts, an dem sie sich hätte festhalten können. Nur Dunkelheit.
    Und
nun war sie hier. Gelähmt. Panik wallte in ihr auf.
    Das
Gewicht auf ihrer Brust verstärkte sich. Das stumpfe Ende eines Astes hielt sie
unter Wasser, drückte sie immer tiefer. Sie wand sich. Ihre Angst löste die
Starre. Nur ein Gedanke. Luft! Ihre Arme gehorchten wieder, und sie schlug um
sich. Schrie auf. Wasser drang in ihren Mund. Es schmeckte sauber und nach der
Erde, über die es geflossen war. Sie hustete, und ihre Kehle krampfte. Das
Wasser war jetzt überall. Sie schluckte, ihr Magen rebellierte, und sie erbrach
sich. Gleichzeitig rang sie nach Luft, und ihre Lungen füllten sich mit Wasser
und dem eigenen Erbrochenen. Ihr Herz raste, als ihre Hände den Ast zu fassen
bekamen, der sie unter der Oberfläche hielt. Sie stemmte sich dagegen, kam ein
Stück nach oben. Hoffnung. Als sie wieder zurückgestoßen wurde, erschlaffte
sie. Hatte keine Kraft mehr. Gab auf und starrte in das lächelnde vertraute
Gesicht am Ufer.
    ***
    »Geht es wieder,
Ina?« Hansen beugte sich über mich, sein Gesicht nah an meinem, und rüttelte an
meiner Schulter. Ich blinzelte. Unter meinem Rücken und meinen Händen fühlte
ich Asphalt. Ich richtete mich auf, und sofort biss sich ein heftiger Schmerz
in meinem Bein fest.
    »Scheiße!«, fluchte
ich, ignorierte das Ziehen und Zerren und setzte mich auf. In meiner Hose
klaffte ein Schnitt, der Stoff war blutdurchtränkt.
    »Ich habe gedacht,
sie hätte dich schlimmer erwischt.« Hansen wirkte erleichtert. »Du bist einfach
umgefallen.«
    »Was ist mit
Birgit?«
    »In Sauerbiers
Obhut. Er bringt sie auf die Wache. Wir müssen einwandfrei feststellen, wer sie
nun ist, Andrea Herbstmann oder Birgit Vorhaus.«
    Ich biss mir auf die
Lippen. Auch wenn

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