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Luftkurmord

Luftkurmord

Titel: Luftkurmord Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elke Pistor
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es
verdient, weil er dich betrogen hat.« Eine Feststellung. Keine Frage. Birgit
sah durch mich hindurch und nickte. »Mit Regina.«
    »Sie hat mir alles
wegnehmen wollen. Alles. Den Erfolg. Den Mann. Mein Leben.« Birgits Finger um
Henrikes Arm lockerten sich ein wenig. Ihr Blick fand meinen. »Das konnte ich
doch nicht zulassen.«
    Henrike schluchzte
auf. Birgit schrak zusammen, umklammerte erneut ihren Arm und machte mit der
freien Hand eine ruckartige Bewegung hinter Henrikes Rücken. Henrike bog sich
unter ihrem Griff.
    »Birgit.« Ich atmete
tief ein und ließ die Luft langsam wieder entweichen. Mir war schwindelig.
»Lass Henrike los.« Aus den Augenwinkeln sah ich eine Bewegung am unteren Ende
der Stichstraße. Hansen. Zwischen uns lagen zwanzig Meter. Zwanzig Meter ohne
Deckung, ohne Schutz. Ohne eine Möglichkeit, sich unbemerkt anzuschleichen und
mir und Henrike zu Hilfe zu kommen.
    Birgit schüttelte
den Kopf, näherte sich dem Wagen und schob Henrike zur Beifahrertür. Ich folgte
ihr wie ein Tänzer, Schritt für Schritt. Sie öffnete die Tür, drängte Henrike
hinein und schlug die Tür zu. Dabei gab sie den Blick auf die Hand frei, die
sie die ganze Zeit hinter Henrikes Rücken versteckt gehalten hatte. Ein
verrostetes Jagdmesser. Aus der Hütte? Die Klinge sah stumpf aus, aber mit der
Spitze konnte sie eine Menge Unheil anrichten.
    »In einem leeren
Haselstrauch, da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch. Der Erich rechts und
links der Franz und mittendrin der freche Hans. Sie haben die Augen zu, ganz
zu, und obendrüber, da schneit es, hu!«, rezitierte Birgit und lächelte,
während sie auf mich zukam und die Klinge gegen mich richtete. »Weißt du, wie es
weitergeht, das Gedicht? Mein Lieblingsgedicht.«
    Ich schüttelte
langsam den Kopf und ließ dabei ihre Hand mit dem Messer nicht aus den Augen.
Hinter ihr arbeitete sich Hansen den Hügel hoch. Sie durfte sich nicht
umdrehen, sonst würde sie ihn entdecken.
    »Sie rücken zusammen
dicht an dicht, so warm wie Hans hat’s niemand nicht. – Ich war der Hans. Immer
schon«, sagte sie mit einer Kleinmädchenstimme.
    »Und Regina?«
    Birgit runzelte die
Stirn. »Regina?« Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Regina hat immer
getan, was ich wollte. Bisher.«
    »Und jetzt?«
    Birgit blinzelte,
als ob sie aus einem Traum erwachen würde. Ihr Blick klärte sich, sie streckte
den Rücken durch und strahlte eine ungeheure Selbstsicherheit aus. »Hättest du
zulassen können, dass dein Leben zerplatzt wie eine Seifenblase, Ina? Sie
wollte die Baugenehmigung zurückziehen, damit hätte sie uns in den Ruin
getrieben. Frank hatte Schulden, auch wenn er versucht hat, das vor mir zu
verbergen. Und wenn er sich hätte scheiden lassen, hätte ich nichts bekommen.
Nichts.«
    »Andrea hatte also
recht. Regina hat sich nicht umgebracht.«
    Birgit lachte
erneut, und diesmal klang es wie Eisklumpen in einem Whiskeyglas. »Doch. Das
hat sie. Nur nicht zu dem Zeitpunkt, an dem sie es ursprünglich geplant hatte.
Ich dumme Kuh habe sie damals gerettet, als es ihr so schlecht ging. Auf sie
eingeredet, sie getröstet und gestützt in ihrer Verzweiflung über das, was vorgab,
ihr Leben zu sein. Ihr den Brief weggenommen und versucht, ihr Mut zu machen.
Ich brauchte sie doch!« Trauer klang für einen winzigen Moment in ihrer Stimme
mit, bevor die Wut wieder Überhand nahm. »Und was macht sie? Fängt ein
Verhältnis mit meinem Mann an und ruiniert mir das Geschäft.«
    »Und dann hast du …«
    »Ihr geholfen, ihren
ursprünglichen Plan doch noch in die Tat umzusetzen. Du glaubst ja nicht, was
die richtigen Medikamente in einem hübschen bunten Drink alles bewirken können.
Sie ist mir gefolgt wie ein Lämmchen zur Schlachtbank. Der Rest war kein Problem.
Ihren Abschiedsbrief hatte ich ja noch.«
    Ich schickte einen
schnellen Blick über ihre Schulter. Hansen hatte uns beinahe erreicht. Birgit
wurde misstrauisch und sah über ihre Schulter nach hinten. Hansen und ich
sprangen gleichzeitig los, griffen nach ihren Armen. Sie schrie. Ich schlug
nach dem Messer. Dann kam der Schmerz. Er packte mich und schleuderte mich
umher. Ich stolperte und krümmte mich. Dann wurde mir schlecht, und Dunkelheit
fiel vor meinen Augen nieder wie ein Vorhang.

ELF
    Der Bach floss um sie herum, bettete sie und nahm sie auf als
einen Teil von sich. Sie öffnete die Augen, und sofort fraß sich die nasse
Kälte in ihre Haut, als ob erst das Sehen diese Empfindung möglich gemacht
hätte.

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