Lukianenko Sergej
sie giftig hinzufügte:
»Was du für Angewohnheiten hast!«
»Und woraus würdest du den Beutel machen?«, fragte
Trix.
»Aus Blütenblättern von Rosen. Als Faden nehme ich
einen Sonnenstrahl, als Nadel die Feder eines Phönix«,
versprach Annette mit honigsüßer Stimme. »Meine Güte,
du Dummkopf, ich mache ihn aus den Sachen, die ich
finde! Dein Lehrer hortet schließlich alles Mögliche, da
wird sich bestimmt ein Stück Seide finden … oder etwas
altes Sackleinen.«
Trix nickte dankbar.
Wie sich an diesem Vormittag zeigte, verkraften Magier
eine durchzechte Nacht weitaus besser als Ritter. Radion
Sauerampfer war munter und aufgeräumt, thronte im
Sessel und half Ian in der Küche mit anfeuernden Zurufen, das Frühstück zuzubereiten.
Sir Paclus dagegen schnarchte noch friedlich unter einer alten Pferdedecke auf dem Fußboden. Gegen Morgen, als der Ritter sich bereits nicht mehr auf den Beinen
hatte halten können, hatte er versucht, einen Gobelin (der
einen Sonnenaufgang zeigte) von der Wand zu reißen,
um sich in ihn einzumummeln, war jedoch vom Hausherrn davon abgehalten worden und hatte sich folglich
mit einer von Pferdeschweiß durchtränkten Decke begnügen müssen.
Dazu muss man wissen, dass das Leben eines Ritters
klar geregelt ist. Morgens steht er auf, trinkt ausgiebig
von der salzigen Gurken- oder Kohllake, mittags duelliert
er sich mit Monstern und anderen Rittern, und abends
steht entweder eine Schlacht gegen Feinde oder ein
Kampf gegen Bier und Wein auf dem Programm. Nachts
wartet dann tiefer und gesunder Schlaf auf ihn. Ein maßloses Gelage bringt daher bei einem Ritter alles durcheinander.
Ganz anders die Magier, die keinen klaren Tagesablauf kennen. Wenn ein Magier morgens die Augen aufschlägt, steckt er voller genialer Ideen. Zeilen mächtiger
Zauber wirbeln ihm im Kopf herum. Hastig frühstückt er,
spitzt eine Feder und setzt sich an den Schreibtisch (oder,
wenn er unterwegs ist, mit seinem In-einer-Hand-Buch
auf einen verfaulten Baumstamm). Es naht der feierliche
Augenblick. Gleich würden die Zauberzeilen aufs Pergament gebannt!
»Mein Lieber, kannst du nicht kurz bei unserem Kind
bleiben, während ich die Rüben für die Suppe putze?«,
fragt ihn da seine Frau (falls er eine hat). Der Magier
spielt mit dem Kind, denn nur der Schwarze Herrscher
traut sich, seiner Frau zu widersprechen (weshalb der Magier beschließt, irgendwann selbst zum Schwarzen Herrscher zu werden, seine Frau in einen Pirol zu verwandeln
und Richtung Schloss Schreckenstein aufzubrechen).
Schließlich sind die Rüben geputzt, sodass sich der
Magier wieder übers Pergament setzen kann. Die erste
Zeile des Zauberspruchs hat er bereits im Kopf, die Feder
in die Tinte getaucht. Da blinkt auf dem Tisch die Kristallkugel auf. Ein Kollege möchte ein wenig über Magie
plaudern und sich obendrein über seine Kopfschmerzen
beklagen, die ihn seit dem gestrigen Symposium plagen.
Kaum ist das Gespräch beendet, greift der Magier erneut nach der Feder – und schaut nachdenklich auf die
Kristallkugel. Was wohl in der Welt so vor sich geht?
Wie steht eigentlich der Königliche Goldtaler heute zum
Samarschaner Silberdenar? Und wie ist die Schlacht zwischen einem großen und zwei kleinen Fürstentümern in
den Grauen Bergen ausgegangen? Und ob das neue
Oberhaupt des Kongresses der Vitamanten schon gewählt
worden ist? Außerdem könnte er sich natürlich den kleinen Spaß erlauben, durch die Kristallkugel die Dilloner
Frauen beim Bade zu beobachten. Rein zur Inspiration,
versteht sich!
Dann ist auch das erledigt und der Magier langt abermals nach der Feder. Da ruft ihn seine Frau zur Suppe.
Nach dem Essen muss sich der Magier ausruhen, denn
ein voller Bauch zaubert nicht gern. Irgendwann kreuzt
der Herold aus der Stadt auf und bittet ihn um ein paar
Auskünfte. An welchem Zauber arbeitet der verehrte
Zauberer denn gerade? Und welches war sein allererster
Zauber? Ist es heutzutage schwer, Magier zu werden?
Angeblich klappt das ja nur über Beziehungen. Stimmt
es, dass bei einigen Magiern die Schüler die Zauber wirken? Welchen Kollegen schätzt er? Und welchen nicht?
Zahlt sich die Zauberei aus?
Nachdem der Herold wieder gegangen ist, stiert der
Magier mit stumpfem Blick in die Kristallkugel. All die
wunderbaren Worte sind wie weggeblasen. Der Herold
muss sie mitgenommen haben. Oder sie sind ihm während der Plauderei mit seinen Kollegen abhandengekommen.
So verstreicht der Tag.
Falls
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