Lukianenko Sergej
dieses Jemand drückte ihn auf einen soliden Holzstuhl, die andere schob ihm einen Krug Bier
hin.
»Trink das!«, flüsterte der Unbekannte. »Wenn sie
merken, dass du heulst, lachen sie dich aus. Ritter sind
wie Kinder. Sogar noch schlimmer. Wenn es um die
Schwächen anderer geht, lachen sie sich kaputt, aber
wenn es um sie selbst geht, können sie gar nicht laut genug jammern.«
Trix trank von dem süßlichen und starken Bier. Verstohlen wischte er die Tränen weg, ehe er sein teilnahmsvolles Gegenüber ansah.
Ein stämmiger, gedrungener Ritter – er war kaum größer
als Trix – von vierzig, fünfundvierzig Jahren. Sein Glatzkopf funkelte nicht schlechter als ein polierter Helm. Über
einem gewaltigen Bart leuchteten tief liegende Äuglein.
Ihr Blick war erstaunlich klug und voller Mitgefühl.
»Sir Paclus«, stieß Trix aus.
»Du hast dich gut vorbereitet, mein Sohn«, sagte Sir
Paclus. »Du willst wohl unbedingt Knappe werden?«
»Äh …« Trix lief rot an. »Ich …«
»Aber nicht bei mir«, sagte Paclus barsch. »Tut mir
leid, Junge, aber der Dienst bei mir bringt nur Unglück.
Vorgestern Abend habe ich schon den dritten Knappen
verloren.«
»Das tut mir sehr leid, Sir …«, flüsterte Trix.
»Den dritten innerhalb eines Monats«, stellte Paclus
klar. »Mir reicht’s!«
»Und warum verliert Ihr sie?«, fragte Trix.
»Weil ich gegen den Magier kämpfe.« Paclus runzelte
die Stirn. »Ich habe bisher immer Glück gehabt … im
Unterschied zu den Jungen. Damit ist jetzt Schluss! Es ist
zu peinlich, nach Dillon zurückzukommen und ihren
Müttern unter die Augen zu treten.«
»Meine Mutter ist tot«, sagte Trix da zu seiner eigenen
Überraschung. »Wenn mir etwas zustoßen sollte, müsstet
Ihr ihr nicht in die Augen sehen. Aber ich muss unbedingt
Ritter werden, damit ich mich rächen kann. Helft mir, Sir
Paclus! Nehmt mich zum Knappen!«
Der zwergartige Ritter betrachtete Trix mit forschendem
Blick. »Du bist offenbar aus einer vornehmen Familie«,
bemerkte er schließlich.
Trix schwieg.
»Bitte mich nicht!« Paclus schüttelte den Kopf. »Ich
warte auf einen Händler, der mir ein mächtiges Artefakt
bringt. Danach ziehe ich wieder zum Turm des Magiers.
Dahin will ich keinen unausgebildeten Jungen mitnehmen!«
»Aber jemand muss doch Euer Pferd halten!«, entgegnete Trix. »Oder nachsehen, ob sich in den Büschen
Räuber verstecken.«
»Ich schicke keine Kinder an meiner Stelle in den
Kampf!« Paclus lief puterrot an. »Nein, nein und nochmals nein!«
Trix biss sich auf die Lippe. Da fiel ihm das Gespräch
mit den beiden Knappen vor der Schenke ein. »Sir Paclus«, brachte er leise hervor. »Ihr wisst, was das ist: Ehre.
Helft mir, die Ehre meines Geschlechts zu verteidigen!
Ich bin Trix Solier, der Erbe des Co-Herzogs Rett Solier,
der vom Co-Herzog Sator Gris auf gemeine Weise verraten
und umgebracht wurde!«
Sir Paclus rammte die Zähne aufeinander und starrte
Trix in stummer Verwunderung an. Schließlich erhob er
sich (womit er nur wenig an Größe gewann) und zog einen
Zweihänder aus der Scheide.
Trix schluckte und ließ sich vor Sir Paclus auf die
Knie nieder.
Was, wenn Sir Paclus selbst noch eine Rechnung mit
dem Geschlecht der Soliers offen hatte? Er könnte ihn als
Knappen in Dienst nehmen, aber ebenso gut könnte er
ihm auch den Kopf abschlagen. Sicher, so was kam selten vor …
Sir Paclus streckte die Hand mit dem Schwert aus.
Stille breitete sich in der Schenke aus.
Trix schloss vorsichtshalber die Augen.
5. Kapitel
R
itter teilen sich nicht nur in kluge und dumme, aufbrausende und besonnene, gute und weniger gute,
sondern auch noch in zwei andere Gruppen. Die erste
hält es für eine ruhmreiche Tat, in strömendem Regen in
wilden Dornbüschen zu schlafen und sich zum Frühstück
mit einem Stück durchgeweichten Brots zu begnügen.
Die zweite vertritt die Auffassung, es zöge durchaus kein
Unheil nach sich, wenn ein Ritter in einem Gasthof in
einem Bett übernachtet und Rührei mit Schinken zum
Frühstück isst. Beide Gruppen sind sehr einfach voneinander zu unterscheiden: Die zweite Gruppe stinkt nicht
ganz so stark und hat eine gesündere Gesichtsfarbe.
Sir Paclus war zu Trix’ Glück nicht nur besonnen und
gut, sondern auch der Bequemlichkeit zugeneigt. Deshalb
übernachtete der Ritter mit seinem neuen Knappen in
einer Schenke. Sie war sauber und erst kürzlich durch
Magie von Ungeziefer befreit worden.
»Du wirst es schätzen lernen, mein Junge, wenn du im
Bierkrug
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