Lukianenko Sergej
etwa noch nicht begriffen? Wenn sie Hunger hat,
ist sie wütend und bringt nichts zustande. Und sobald sie
was gegessen hat, fängt sie an zu kichern und macht lauter Dummheiten. Aber jetzt lass uns schlafen gehen. Ich
nehme Sauerampfers Bett, du kannst im großen Zimmer
schlafen, auf dem Sofa. Oder in der Kammer für die
Dienstboten, da gibt es ein Bett.«
»Kann ich nicht im Studierzimmer schlafen?«
»Nein!«, fuhr Trix ihn an. »Wo denkst du hin! Sauerampfer hat mir strikt verboten, da auch nur einen Fuß
reinzusetzen. Er hat gesagt, es gebe da drin jede Menge
Restemanationen von Magie. Du schläfst als Mensch ein
und wachst als Elf oder Minotaurus wieder auf.«
»Quatsch!«, sagte Ian. »Der will dir nur Angst machen. Gut, dann nehm ich die Kammer, das bin ich gewöhnt.«
Trix schnappte sich eine Kerze, Ian die andere. Die
beiden tapsten durch den dunklen Flur, wünschten sich
eine gute Nacht und trennten sich – Ian verschwand in
der Kammer neben der Eingangstür, Trix im Schlafzimmer des Magiers, einem düsteren Raum, dafür aber mit
einem breiten und weichen Bett. Nachdem er sich ausgezogen und die Kerze gelöscht hatte, stand er noch ein
Weilchen am Fenster und atmete die kalte, frische Luft
ein. Trotz des heißen Tages war die Nacht kühl. Durch
die Bäume hindurch machte er Villen und sogar die
Kuppel des Fürstenpalasts aus. Der Palast und die Straßen waren hell erleuchtet, winzige Punkte von Laternen
bewegten sich hin und her, das rote Licht von Fackeln
flackerte und ein magisches weißes Licht leuchtete um
die Kuppel des Palasts herum. Ob das jede Nacht so war?
Oder hatte der Regent Hass heute einen wichtigen Empfang, von dem die Gäste gerade erst nach Hause aufbrachen?
Seufzend legte sich Trix hin und zog die Decke bis an
die Ohren. Die Bettwäsche war einigermaßen sauber,
wenn jemand darin geschlafen hatte, nur höchstens für
ein, zwei Wochen. Auf Sauerampfers Nachthemd verzichtete Trix aber lieber. Morgen würde er Ian befehlen,
Nachthemd wie Bettwäsche zu waschen. Er selbst würde
zum Markt gehen und alles einkaufen, was Sauerampfer
ihm aufgetragen hatte: Essen, Handtücher, Papier und
Tinte, Duftkerzen, weißen und roten Wein, Seife für
Hände und Haar, aromatische Salze fürs Bad …
Er war schon fast eingeschlafen, als er leise Schritte
im Flur hörte. Trix hielt den Atem an. Die Schlafzimmertür quietschte.
Ian!
Wollte der schuftige Knappe ihn etwa ausrauben und
wieder abhauen?
»Trix!«, rief Ian leise. »Trix, ich habe Angst! Da … da
ist jemand!«
»Wo?«
»Im Stud… Studierzimmer.«
Trix’ Müdigkeit war wie weggeblasen. Er sprang aus
dem Bett und zog rasch seine Hosen an. Dann tastete er
die Wand ab. Bei der Ankunft hatte er entdeckt, dass der
große Magier Sauerampfer in seinem Schlafzimmer nicht
bloß auf Magie vertraute, sondern obendrein einen ordentlichen Knüppel bereithielt, fast so einen, wie ihn
auch die Wachposten hatten. Trix packte das elastische
warme Gummiholz und schob sich die Lederschlaufe
übers Handgelenk. Damit fühlte er sich schon sicherer.
Diesen Schurken am Pier hatte er doch auch im Stockkampf besiegt! Indem er unwissentlich einen Zauber gewirkt hatte, der ihn zu einem guten Kämpfer gemacht
hatte. Soweit er wusste, hielt so ein Zauber lange vor.
»Komm!«, befahl Trix. Seine Augen hatten sich bereits an die Dunkelheit gewöhnt, das Licht aus dem Fenster reichte ihm jetzt völlig, um sich zu orientieren. Wie er
sah, war Ian nur im Hemd und barfuß.
»Erst habe ich gehört, dass jemand an der Pforte hantiert«, flüsterte Ian. »Ein Betrunkener, habe ich mir gesagt, halb so wild. Aber dann habe ich gehört, dass jemand im Studierzimmer ist … da waren leise Stimmen …
Das ist die Magie, Ehrenwort! Das sind die Restimm…
emonationen.«
»Das sind bestimmt nur Diebe«, sagte Trix unsicher.
Sie schlichen ängstlich zur Tür des Studierzimmers. Es
schien alles ruhig.
»Was ist mit dem Wachlicht?«, fragte Ian.
»Das … das haben sie gelöscht.«
»Nein, ich habe gesehen, wie es an meinem Fenster
vorbeigeflogen ist, während es im Studierzimmer diese
Geräusche gegeben hat …«
»Vielleicht hast du nur geträumt?«
Die Jungen blieben dicht nebeneinander stehen und
lauschten in die nächtliche Stille. Natürlich ist es nachts
in einem Haus nie ganz still. Draußen rascheln die Blätter
an den Bäumen, durch die Ritzen pfeift der Wind, im
Ofen knistern die erkalteten Kohlen, die vom Tag müden
Dielen knarren leise, die
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