Lullaby (DE)
Sternsaphiren in Cabochonschliff und Rohdiamanten in Kissenschliff, die sie daran trägt. Sie sagt: »Symon, suchen Sie sich einen davon aus.«
Und der Bibliothekar zieht die Oberlippe bis unter die Nasenspitze hoch, sodass die obere Zahnreihe sichtbar wird. Er blinzelt, einmal, zweimal, ganz langsam, und sagt: »Deine protzigen Tuntenklunkern kannst du behalten, Schätzchen.«
Und das Lächeln auf Helens Gesicht gerät nicht mal ins Flackern.
Der Mann verdreht die Augen, und die Gesichts- und Handmuskeln werden schlaff. Das Kinn fällt ihm auf die Brust, und er kippt nach vorn auf die Tastatur, krümmt sich und rutscht auf den Fußboden.
Konstruktive Destruktion.
Helen dreht mit einer unbezahlbaren Hand den Monitor herum und sagt: »Verdammt.«
Sogar tot auf dem Boden sieht er aus, als würde er schlafen. Der gegelte Haarschopf hat den Sturz gebremst.
Helen betrachtet den Monitor und sagt: »Er hat die Programmmaske gewechselt. Ich brauche sein Passwort.«
Kein Problem. Big Brother pumpt uns alle mit derselben Scheiße voll. Ich möchte wetten, er hat sich für genauso schlau gehalten wie alle anderen, die sich für schlau halten. Ich sage ihr, sie soll »Passwort« eingeben.
25
Mona rollt mir den Strumpf vom Fuß. Die fasrige, dehnbare Innenseite der Socken schält mir den Schorf von der Haut. Mein verkrustetes Blut fällt in Flocken auf den Fußboden. Der Fuß ist so geschwollen, dass alle Unebenheiten geglättet sind. Mein Fuß: ein rot und gelb gefleckter Ballon. Mona legt ein gefaltetes Handtuch darunter und beginnt ihn mit Alkohol abzutupfen.
Der Schmerz setzt so plötzlich ein, dass man nicht sagen kann, ob der Alkohol kochend heiß oder eiskalt ist. Mona kniet vor mir auf dem Teppich. Ich sitze mit aufgekrempeltem Hosenbein auf dem Motelbett, kralle die Hände in die Tagesdecke und beiße die Zähne zusammen. Mein Rücken biegt sich, alle meine Muskeln versteinern für ein paar lange Sekunden. Die Tagesdecke ist kalt und von meinem Schweiß durchtränkt.
Blasen, gefüllt mit etwas Weichem und Gelbem, bedecken fast die gesamte Fußsohle. Unter der Schicht abgestorbener Haut kann man in jeder Blase einen dunklen, festen Kern erkennen.
Mona sagt: »Wo bist du denn drübergelaufen?«
Sie macht mit Oysters Plastikfeuerzeug eine Pinzette heiß.
Ich frage, wie die Sache mit den Anzeigen funktioniert, die Oyster immer in die Zeitungen setzt. Arbeitet er für eine Anwaltskanzlei? Die Fälle von Hautpilz und Nahrungsmittelvergiftung – gibt es die wirklich?
Der Alkohol, rosa von aufgelöstem Blut, tropft vom Fuß auf das gefaltete Motelhandtuch. Sie legt die Pinzette auf das feuchte Handtuch und erhitzt mit Oysters Feuerzeug eine Nadel. Dann nimmt sie ein Gummiband und bündelt ihre Haare zu einem dicken Pferdeschwanz.
»Oyster nennt das ›Antireklame‹«, sagt sie. »Manche Unternehmen, die richtig wohlhabenden, geben ihm Geld, damit er die Anzeigen zurücknimmt. Wie viel sie zahlen, meint er, sagt etwas über den wahrscheinlichen Wahrheitsgehalt der Anzeigen aus.«
Mein Fuß passt in keinen Schuh mehr. Vorhin im Auto habe ich Mona gefragt, ob sie sich das mal ansehen kann. Helen und Oyster sind unterwegs, um neues Schminkzeug zu kaufen. Außerdem wollen sie drei Exemplare des Gedichtbands entschärfen, die wir in der »Bücherscheune«, einem großen Antiquariat nicht weit von hier, entdeckt haben.
Ich sage, was Oyster da mache, sei Erpressung. Verleumdung.
Es ist kurz vor Mitternacht. Wo Helen und Oyster wirklich sind, will ich gar nicht wissen.
»Er behauptet nicht, dass er Anwalt ist«, sagt Mona. »Er behauptet nicht, dass es einen Prozess geben wird. Er gibt bloß eine Anzeige auf. Es sind die anderen, die zwischen den Zeilen lesen. Oyster sagt, dass er ihnen bloß die Saat des Zweifels in die Köpfe pflanzt.«
Sie sagt: »Oyster sagt, dass das nur recht und billig ist, weil Anzeigen doch immer etwas versprechen, was einen glücklich machen soll.«
Wenn Mona vor einem kniet, sieht man die drei über ihrem Schlüsselbein eintätowierten schwarzen Sternchen. Man kann ihr auch in die Bluse sehen, an dem Wust aus Ketten und Anhängern vorbei; sie trägt keinen BH, und ich zähle 1, zähle 2, zähle 3 ...
Mona sagt: »Andere aus unserem Hexenclub tun das auch, aber die Idee ist von Oyster. Er sagt, der Plan dabei ist, die Illusion von Sicherheit und Wohlbefinden im Leben der Menschen zu untergraben.«
Mit der Nadel sticht sie eine gelbe Blase auf. Etwas Dunkles tritt hervor und
Weitere Kostenlose Bücher