Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
wieder, schnell nahm sie ihn hoch, drückte ihn sich fest an den Körper, bis er nur noch schluchzte und sich beruhigte. Sie nahm die Tasche mit den Windeln und der Wechselwäsche und fuhr mit dem Fahrstuhl nach oben.
Erst nachdem sie die Wohnungstür zugeworfen und sorgfältig hinter sich verschlossen hatte, konnte sie sich ein wenig entspannen.
Sie beruhigte ihren inzwischen ziemlich großen und gut genährten Sohn, während sie den Brei anrührte. Bis jetzt hatten die Nachbarn nichts gesagt, aber jedes Mal, wenn er schrie, besonders des Nachts, wurde sie ganz nervös. Sie fürchtete, rausgeschmissen zu werden und sich dann etwas Neues suchen zu müssen.
Johan spürte, dass sie angespannt war, und ließ sich ungewöhnlich schwer zur Ruhe bringen. Er wollte nicht einmal den Brei aus der Nuckelflasche trinken. Sie lief mit ihm auf dem Arm in der Wohnung herum, bis er sich so weit beruhigt hatte, dass er nicht mehr schrie. Aber er weigerte sich zu schlafen. Er fühlte, dass etwas nicht war wie sonst. Sie löschte das Licht im Wohnzimmer, stellte sich mit Johan auf dem Arm ans Fenster und schaute hinaus.
Vermutlich bildete sie sich das nur ein, aber sie meinte sehen zu können, dass dort jemand unter dem Baum stand, das Gesicht ihrer Wohnung zugewandt.
Stand Lena wirklich da und beobachtete sie? Lena konnte doch gar nicht wissen, dass sie die Pistole gefunden hatte. Sie musste sich zusammenreißen und durfte sich nichts einbilden, was es gar nicht gab.
Ihr Instinkt sagte ihr jedoch, dass sie ab jetzt ständig Angst haben würde und immer auf der Hut sein müsste. Nein, es war einfach nicht möglich, Tag für Tag herumzulaufen und Angst zu haben, von der eigenen Stiefschwester erschossen zu werden.
Der Inhalt der Nuckelflasche war kalt geworden, sie wechselte Johan die Windeln, zog ihm einen sauberen Pyjama an und rührte neuen, lauwarmen Brei an, den er bereitwillig aß. Er schlief direkt beim Essen ein, und sie legte ihn in sein Bett und zog sich dann selbst aus.
Plötzlich erschien ihr das eigene Bett viel zu groß. Sie lag nackt in ihm und sehnte sich nach einem warmen Körper. Sie wickelte die Bettdecke wie ein Sicherheitsfutteral eng um sich, aber das wurde zu warm. Normalerweise schlief sie in diesem außergewöhnlich heißen Sommer immer bei offenem Fenster, aber jetzt traute sie sich nicht einmal mehr, es einen Spalt offen zu lassen.
Nach einer Weile schlief sie doch ein, wachte aber bald wieder auf und spürte, wie der Schweiß am Laken klebte. Sie stand auf, stellte sich ans Fenster, um zu sehen, ob die Person immer noch dort stand. Jetzt sah sie aber, dass es kein Mensch war, sondern ein Luftballon, der an einem Busch festgebunden war, und nun erinnerte sie sich auch daran, dass sie die Luftballons am Nachmittag schon gesehen hatte. Die Nachbarn hatten für einen Kindergeburtstag geschmückt und Luftballons in verschiedenen Farben an die Büsche am Hauseingang gebunden, und sie hatte noch gedacht, dass Johan auch Luftballons zu seinem Geburtstag haben sollte.
Sie zog die Schublade in der Küche heraus und nahm die Karte in die Hand. Kriminalinspektor Peter Berg stand darauf. Sie betastete die Karte eine Weile, ging dann auf den Flur und schlug seine Privatnummer im Telefonbuch nach. Nach vielen Freizeichen, sie war schon kurz davor aufzugeben, antwortete endlich jemand mit müder, verschlafener Stimme, und sie bereute schon, angerufen zu haben und hätte am liebsten gleich wieder aufgelegt.
KAPITEL 23
Erika war früh am Morgen mit dem Fahrrad am Polizeihaus angekommen, ging nun den weiß gestrichenen Flur entlang und fühlte sich ungewöhnlich gut gelaunt. Das eine und andere Bild war von dem Kunstverein der Polizei ausgetauscht worden. Dieser benutzte die Wände zwischen den Arbeitszimmern als Galerie. Die großen Ölgemälde, die jetzt hier hingen, unterbrachen ein wenig den lang gestreckten Gang und das nichts sagende Gefühl, in einer Art Niemandsland zu sein, einer Passage, die aber gleichzeitig ein Ort für plötzlich einsetzende Gespräche und schnelle Beschlüsse, gute Ratschläge, frohe Anspornungsrufe und eklige Sticheleien war.
Erika hatte das Gefühl, dass sich die Dinge langsam wieder zurechtrückten. Sie bekam ihr Leben Stück für Stück wieder in den Griff, aber es war noch zerbrechlich, und deshalb spürte sie, dass etwas in ihr zusammenzuckte, als Louise, die dort am Kaffeeautomaten stand und darauf wartete, dass die schwarze Brühe in den Plastikbecher laufen sollte, sie
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