Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
geworden, aber sie hatte lange Zeit gebraucht, um das selbst einzusehen. Sie war groß und feingliedrig, aber dabei kräftig, und ihre Haut war goldbraun und glänzend. Wenn das Haar nach hinten gestrichen wurde, trat ihr wohl geformter Kopf deutlich hervor. Irgendwie sah durch die neue Frisur ihr Gesicht klarer aus. Sonst hatte sie eher den Eindruck vermittelt, sich in ihrer Haarpracht verstecken zu wollen.
»Legen Sie los«, forderte sie schließlich die Friseuse auf und griff nach einer Frauenzeitschrift auf der Ablage vor dem Spiegel, gerade als eine ihr wohl bekannte Person durch die Tür hereintrat.
Es war Nina Persson, die Empfangsdame und Mädchen für alles im Polizeirevier, eine gut situierte und harmlose Supersexbombe, eine der Letzten ihrer Art. Obwohl, wenn man es genau betrachtete, so war sie eigentlich gar nicht so eine Supersexbombe, vielleicht nur ungemein weiblich, mit Pushup-BH, enger Bluse, kurzem Rock, viel Schminke und langen Fingernägeln. Aber sie flirtete kaum, eigentlich nie, und sie lebte allein und war wohl auch ziemlich einsam, den Eindruck hatte Erika zumindest bekommen. Vielleicht führte sie ja auch ein äußerst interessantes, spannendes Leben – aber heimlich.
»Hallo«, sagte Nina, freundlich und locker wie immer, wobei sich ein Lächeln auf ihrem äußerst sorgfältig geschminkten Gesicht zeigte, Grundierungscreme, Rouge und blassrosa Lippen mit dunklerer Kontur, viel Lidschatten auf den Augenlidern und sicher künstliche Wimpern als Tüpfelchen auf dem I.
»Hallo«, erwiderte Erika den Gruß lächelnd.
Eigentlich schämte sie sich immer hinterher, wenn sie mit den anderen über Nina lästerte, denn diese war einfach nett und dabei ein bisschen dumm, oder vielleicht eher etwas verdreht, nicht unbegabt oder minderbemittelt, sondern naiv. Aber keiner fand etwas dabei, abschätzig über sie zu reden. Sie war auch die einzige Frau, über die die Männer vom Revier wie freche Jungs herziehen und hinter ihrem Rücken Witze machen konnten. Nina wusste sicher gar nichts davon.
Oder doch? Vielleicht gefällt es ihr sogar, dachte Erika etwas säuerlich und verspürte sofort den bekannten Stich des schlechten Gewissens in sich. Sie suchte sich selbst zu verteidigen, dass sie nie diesem Gerede widersprochen hatte. Das nächste Mal würde sie aber eingreifen, das nahm sie sich ganz fest vor.
Sie unterhielt sich mit Nina, die ihr langes, blondiertes Haar, das ihr bis auf die Schultern fiel, kürzer schneiden lassen wollte. Erika sprach mit freundlicher Stimme, musste sich dazu gar nicht überwinden, da Nina in ihrer wie immer etwas puppenhaften und altmodischen Art die Sonne selbst war.
Ihr Handy klingelte, als sie fast fertig war. Ob sie am Nachmittag einspringen könne und vielleicht auch noch ein paar Stunden am Abend?, fragte Inspektorin Louise Jasinski.
Deshalb saß Erika ein paar Stunden später vor einer Tür, die sie bereits seit vier Stunden auf einem tristen Flur im Krankenhaus bewachte. Wirklich trist. Sie hatte das Personal kommen und gehen sehen, und sie hatte Kaffee und Brote bekommen. Nach außen hin sah alles ruhig aus, niemand lief oder rief herum, aber kaum jemand saß hier herum und schien zu faulenzen. In der Mitte des Flurs gab es eine Art Tresen mit Schreibtisch dahinter, hier war das Zentrum des Geschehens. Die Schwestern waren dort beschäftigt, sprachen am Telefon, holten Papiere und Mappen, und manchmal gingen sie in einen Raum dahinter und kamen mit kleinen Schnapsgläsern aus Plastik mit Tabletten darin wieder heraus, oder mit Papptabletts, auf denen Spritzen und Ampullen lagen. Wenn die Ärzte kamen, konnte man sie schon von weitem erkennen. Ihr Kittel war länger, Lineale und Stifte ragten aus der Brusttasche heraus, und oft trugen sie ihre private Kleidung darunter. Alle anderen hatten weiße lange Hosen und grün-weiß gestreifte Hemden und praktische Schuhe an, auch der einzige Mann unter dem Pflegepersonal. Nur eine Krankenschwester hatte sich einen weißen Überwurfkittel mit großen Taschen angezogen. Der Kittel geht ja noch, dachte Erika, aber die kurzen Socken darunter, die aus den Schuhen ragten, sehen doch lächerlich aus. Aber wahrscheinlich waren sie einfach praktisch, und fast alle trugen lustige Strümpfe in klaren Farben mit Figuren oder Tiermotiven darauf. Vielleicht der letzte Rest an Individualismus bei all den Uniformen, dachte Erika.
Sie war bei der alten Frau drinnen gewesen, die mager und knochig dalag, einen Schlauch in der
Weitere Kostenlose Bücher