Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Richtiges Essen war wichtig. Außerdem gab es noch eine halb volle Tüte mit Naschereien zu Hause, wenn es denn wirklich nicht anders ging. Ansonsten hatte es so ausgesehen, als würde Kirre sich freuen, sie wiederzusehen, als sie vor ein paar Tagen bei ihm etwas kaufte, er hatte wohl schon befürchtet, eine Stammkundin verloren zu haben. Sie ging davon aus, dass er wusste, was passiert war, genau wie alle anderen.
Sie war eine Frau geworden, die einem Leid tat und um die man sich Sorgen machte. Menschen in Trauer sind unbequem, sie versetzen der Stimmung einen Dämpfer, und wer will das schon. Und noch schlimmer wurde es dadurch, dass durchgesickert war, es sei möglicherweise gar kein Unfall gewesen. Vielleicht konnte man sich denken, dass er … nun ja, niemand wusste etwas Genaues, aber es sah doch so aus, als hätte er es drauf ankommen lassen. Ab und zu hatte sie unfreiwillig etwas in der Richtung aufgeschnappt. Die Leute glauben, sie könnten einen vor diesem widerlichen Geschwätz schonen, könnten sich heimlich darüber den Mund fusselig reden, aber irgendwann kam es doch heraus. Sie merkte, wie den anderen die Worte wie heiße Kartoffeln im Mund brannten und ihre Blicke nicht offen waren. Verlegenheit und Schweigen begegneten ihr. Wie sollte man mit ihr reden?
Er war gegangen, hatte Suizid begangen, Hand an sich gelegt, sich entschieden, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sich entschieden? Ha! Er hatte doch gar keine Wahl, dachte sie insgeheim. Er hatte keine Alternativen, zwischen denen er sich hätte entscheiden können. Sie haben ihn ermordet, aber das wusste nur sie.
Sie hatte eine Aufgabe bekommen. Johan hatte ihr eine Aufgabe gegeben. Zuerst würde sie sich auf Laura Ehrenswärd konzentrieren. Tomas Bengtsson konnte sie zunächst außer Acht lassen. Vielleicht hatte er schon genug abbekommen. Carl-Magnus Meisser würde ein späteres Kapitel sein.
Sie hatte einen Plan, der aber noch nicht ganz ausgereift war und ihre ganze Zeit in Anspruch nahm. Die Gedanken dazu stellten sich von ganz allein schon morgens beim Frühstück ein, und dann arbeitete sie sich im Laufe des Tages voran, dachte nach, horchte in sich hinein, schloss reine Wahnsinnshandlungen aus, nahm andere Alternativen genauer unter die Lupe, fragte sich selbst, wozu sie wohl in der Lage wäre. Zu ziemlich viel, wenn man es genau betrachtete. Zu einer ganzen Menge, wenn nur kein Messer und keine Axt im Spiel war. Kein blutiges Abschlachten. Sie selbst musste dabei sauber bleiben.
Es war schön, wieder zu arbeiten, den Weg zur und von der Bibliothek zu machen, genau, wie man es ihr vorher prophezeit hatte. Es würde gut sein, ein bisschen Struktur in das Dasein zu bekommen, hatten sie ihr gesagt, nicht nur zu Hause zu sein mit seiner Verzweiflung, ohne dass die Hände etwas zu tun bekamen, was die Gedanken zu zerstreuen half. Ihre Arbeitskollegen waren nett, da war es kein Problem, wenn sie mal fehlte oder in Gedanken versank. Ein Mal, nur ein einziges Mal hatte sie angefangen, laut zu weinen, aber kein Ausleiher sah es, und die anderen fanden das gar nicht so peinlich, auf jeden Fall kümmerten sie sich nicht darum.
Wenn sie wollte, konnte sie auch erst einmal eingeschränkt arbeitsfähig geschrieben werden, hatte ihr der Arzt erklärt, aber sie wollte erst einmal sehen, wie es lief, wenn sie wie vorher ganz normal arbeitete.
Irgendwann würde alles wieder normal werden. Die Trauer würde sie stark machen. Viele gingen gestärkt aus Problemen hervor. Alle sagten das.
Was wussten die denn schon? Vielleicht wollte sie ja gar nicht, dass es vorüberging. Vielleicht wollte sie sich Trauer und Wut erhalten. Sie brauchte die Wut, um die Rache ausführen zu können. Die interessierten sie nicht, die es nicht ertragen konnten, ein trauerndes Gesicht am Kaffeetisch zu sehen, ein Gesicht, das ihnen ein schlechtes Gewissen gab, weil sie sich machtlos fühlten. Sie verdarb die gute Laune, diese bewusst erkämpfte fröhliche Stimmung, für die die Bibliotheksleitung so hart gearbeitet hatte.
An die Woche vor der Beerdigung konnte sie sich so gut wie gar nicht mehr erinnern. Ihre Mutter war ein paar Tage da gewesen, so viel wusste sie noch. Es war schön gewesen, aber genauso schön war es, als sie wieder abfuhr. Nach der Beerdigung schlief sie Tag und Nacht. Sie stand nur auf, um etwas zu essen, nicht viel, denn da sie sich nicht in der Lage fühlte, das Haus zu verlassen und etwas einzukaufen, leerte sich der Vorratsschrank schnell. Und dann
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