Lundborg-Westmann & Claes Claesson - 02 - Ein plötzlicher Tod
Nase, und die ganze Zeit mit ihren dünnen Fingern über die Bettdecke strich. Die Adern liefen wie blaue Würmer über den Handrücken. Über der Nase klebte eine weiße Kompresse, die wasserblauen Augen huschten ziellos durch den Raum, und sie fragte unaufhörlich nach Elsa. Man konnte sie nur schwer verstehen, denn sie hatte ihr Gebiss nicht im Mund. Die Worte sogen sich in all dem Weichen fest, am Kiefer, an der Zunge und den eingefallenen, trockenen Lippen. Viel mehr als den kurzen Namen Elsa brachte sie nicht hervor. Sie mussten also abwarten. Vielleicht wurde sie wieder klarer, hatten die Ärzte gesagt. Elsa, das war ihre Schwester, die umgebracht worden war. Die arme, arme alte Frau, dachte Erika.
Erika hatte Louise Jasinski abgelöst, die früher am Tag versucht hatte, etwas aus der alten Dame herauszubekommen, und die jetzt zurückgekehrt war. Zusammen gingen sie hinein, und Erika stellte wieder fest, wie sicher Louise doch wirkte. Dadurch wurde alles irgendwie so einfach, sie war konzentriert, rücksichtsvoll, und sie wusste, was sie wollte.
Louise Jasinski setzte sich und blieb erst nur schweigend sitzen. Sie zeigte damit, dass sie viel Zeit hatte. Sie legte eine Hand auf die Hand der Alten und streichelte sie vorsichtig, bis die Finger mit ihren Bewegungen aufhörten. Louise stellte ruhig und nüchtern sehr kurze, einfache Fragen, und die alte Frau schien zu verstehen, dass hier jemand war, der es gut mit ihr meinte. Die halb blinden Augen versuchten Louises Gesicht einzufangen.
»Tora, Sie liegen hier im Krankenhaus«, begann Louise Jasinski. »Sie sind verletzt. Erinnern Sie sich daran, dass Sie niedergeschlagen wurden?«
»Elsa.«
»Ja, Elsa ist auch verletzt worden. Wer hat Elsa geschlagen?«
Die schmale Zungenspitze schaute hervor und rollte über die rasierklingendünnen Lippen, sie öffnete und schloss den Mund, aber es kamen nur trockene Schmatzgeräusche heraus.
»Wer hat Elsa geschlagen? War das ein Mann?«
»Weiße Mütze und einer mit schwarzer. Wir kannten sie nicht.«
»Waren es zwei Männer, die Sie und Elsa geschlagen haben?«
»Jungs. Die waren nicht nett.«
»Waren es mehr als zwei?«
Schweigen.
»Waren es drei?«
Auch darauf konnte sie keine Antwort geben. Vielleicht würden sie mehr erfahren, sobald die alte Dame sich etwas erholt hatte.
Die Luft war feucht. Das Tauwetter hing wie Tropfen in den Bäumen, und der Schnee war zu schmutzigen Haufen auf den Straßen zusammengefahren worden. Der Kies lag jetzt direkt auf dem Asphalt der Bürgersteige, es war nicht mehr glatt.
Lena Söderlund machte sich mit schnellem Schritt auf ihren üblichen Spaziergang, aber diesmal hatte sie vor, von der Route abzuweichen. Sie musste dem Wohnungsmakler in ein paar Tagen Bescheid geben, und vorher wollte sie sehen, ob man in die ihr angebotene Wohnung hineinsehen konnte. Und das war nur am Abend möglich, wenn die Fenster in der Dunkelheit leuchteten. Die Zweizimmerwohnung lag im zweiten Stock und dürfte eigentlich keinen Einblick bieten, aber sicher konnte man ja nie sein.
Denn nur sie, Lena, war die Fensterguckerin. Niemand durfte dagegen bei ihr hineinschauen. Sie wollte ihr Leben für sich haben. Keine Puppenstube, in die hineingeglotzt wurde.
Es war schlimm genug, dass sie gezwungen war, nach Johans Tod umzuziehen. Nichts war mehr wie zuvor, und nichts würde wieder so werden, und vielleicht war das ja auch nur gut so. Wenn auch alles andere als gerecht. Erst allein gelassen, dann gezwungen umzuziehen. Die Finanzen wurden schlechter. Ein Unglück kommt selten allein, aber sie würde es schon schaffen. War sie nicht immer eine gewesen, die es geschafft hatte!
Es war milder geworden. Sie zog sich den Mantel an, ließ aber den Schal zu Hause.
Die Schritte die Treppe hinunter waren immer noch schwer, aber nicht mehr kraftlos. Nach der Beerdigung war es leichter geworden, genau wie man es ihr prophezeit hatte. Leichter, aber nicht leicht. Der Kloß war noch da, doch er kam und ging. Er saß nicht die ganze Zeit da.
Sie hastete an den Schaufenstern vorbei, am Laden des Türken, dem Goldschmiedgeschäft, und sie spürte, wie die Wehmut anwuchs. Diese sicheren Straßen sollte sie verlassen. Dann kam sie an Kirres Kiosk vorbei, blieb aber nicht stehen. Heute Abend wollte sie nichts dort kaufen. Sie musste sich zusammennehmen, durfte sich nicht gehen lassen. Nicht wegen der Pfunde, aber sie durfte sich nicht von allem verführen lassen, jetzt, wo Johan sie nicht mehr warnte.
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