Lust und Gefahr
der sich mal umsieht.«
Mit diesen Worten versuchte er, seine egoistische Entscheidung vor allem vor sich selbst zu rechtfertigen. Aber, Gott, man musste sich diese Frau doch nur ansehen. Splitterfasernackt und mit diesem Lächeln auf den Lippen. Sie glühte. Wie sollte ein Mann da widerstehen?
Die Business-Suite war mit einem Internetzugang ausgestattet, den Julia ausgiebig nutzte. Die Website der Crowne Royale Group war gepflegt und wirkte professionell. Genauso gepflegt und professionell wirkte das Foto von Danny MacNamara, Finanzmanager der Firma. Julia las seine Biographie, hakte ihn ab und schaute weiter.
Sie gab »Robin MacNamara« in die Suchmaschine ein. Nach einer halben Stunde stieß sie auf die Website der Ace Entertainment Agency und entdeckte ein Foto und eine Biographie von Wiggles, dem Clown. Wiggles bot seine Dienste für verschiedenste Veranstaltungen an. Die Angaben belegten, dass der Clown in der Umgebung von Seattle auftrat und seit sechs Jahren ein Lächeln auf die Gesichter von Kindern und Erwachsenen zauberte.
In einer weiteren Passage stand zu lesen, dass es sich bei dem Clown um Robin MacNamara handelte. Julia betrachtete die großen braunen Augen und das breite Lächeln des grellbunt geschminkten Clowns, der eine riesige grüne Perücke und eine dicke rote Nase trug. Wiggles war Robin.
Seit sechs Jahren spielte sie den Clown? Entweder war sie älter, als sie aussah, oder sie trat schon als Clown auf, seit sie ein kleines Kind war.
Sie fand eine Telefonnummer und rief bei der Agentur an, um unter einem Vorwand die Privatnummer von Robin MacNamara herauszufinden. Doch der Versuch schlug fehl …
Julia seufzte leise. So leicht gab sie sich aber nicht geschlagen. Immerhin hatte sie noch die Passwörter, die William besorgt hatte, um an die Daten der Kraftfahrzeugbehörde zu kommen. Sie klickte sich in das System für Washington ein und fand unter »Robin MacNamara« das Gesicht des Mädchens. Große braune Augen. Fünfundzwanzig Jahre. Ein bisschen zu alt, doch als sie die Augen schloss, nickte William zustimmend.
Sie tippte die angegebene Adresse in ein Verzeichnis, fand eine Telefonnummer und wählte sie.
»Hi, spreche ich mit Robin?«, fragte Julia, als sich eine Frau meldete.
»Nein, hier spricht Esther. Ich bin ihre Mitbewohnerin. Möchten Sie eine Nachricht hinterlassen?«
»Ich möchte eine Geburtstagsparty für meinen Sohn ausrichten, und der Clown hat in letzter Minute abgesagt. Ich suche händeringend nach einem Ersatz.« Julia täuschte den gehetzten Tonfall einer vielbeschäftigten Mutter vor. »Wissen Sie, ob sie heute Abend um sechs Zeit hätte?«
»Es tut mir leid, aber das bezweifle ich«, entgegnete Esther bedauernd. »Sie ist nicht in der Stadt. Sie ist ein paar Tage in die Berge gefahren.«
In die Berge? Ein Schauer überlief Julias Rücken.
Sicher, Robin war vielleicht nicht unbedingt am selben Ort … aber möglicherweise doch. Das wäre einfach perfekt. »Na schön«, sagte sie. »Vielen Dank für Ihre Hilfe.«
See. Hütte. Berge. Alles deutete darauf hin – der Zeitungsausschnitt, Molly, Esther, ihre prickelnde Haut. Amendola und Robin waren gemeinsam dort und trafen sich zu einem geheimen Rendezvous. Ein Mistkerl wie Amendola war durchaus dazu fähig, seinen Freund zu hintergehen, indem er dessen unschuldige kleine Schwester schändete. Dass dieser Kerl alles außer seinem eigenen Vergnügen derart missachtete, machte sie krank.
Aber wo waren sie? Sie zog die Fotos aus ihrer Tasche. Sie konnte sich nicht sicher sein, dass es sich um denselben Ort handelte, aber Molly hatte erzählt, dass er oft dort war. MacNamara war auch auf dem Bild zu sehen. Und wenn er eine eigene Hütte am See in den Bergen besaß, warum sollte er dann zum Angeln woandershin fahren?
Sie betrachtete das Bild mit dem Mount Rainier darauf.
Konzentriert tippte sie »Mount Rainier Wanderrouten« in die Suchmaschine ein und kam auf eine Website, die die aktuellen Bedingungen für jede Route zum Gipfel des Berges anzeigte. Und jeder dieser Wege war mit einer Fotogalerie beschrieben. Fotos aus allen nur erdenklichen Perspektiven. Außerdem gab es detaillierte topographische Karten. Perfekt.
Sie prüfte jede der Routen, verglich sie mit dem Foto vom See und fand ein sehr ähnliches Bild – sie war sich sicher: Die Hütte musste im Südwesten liegen. Aufmerksam studierte sie die Karte von Washington und konnte schließlich ein Gebiet eingrenzen. Mit einem kleinen Spielraum zu allen
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