Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
gerade, zierliche
Nase und volle, rote Lippen. Eigentlich hätte sie an jedem Finger zehn Verehrer
haben müssen. Wäre da nicht ihre seltsame heilige Art gewesen, die sie so
unnahbar und ... ja, so langweilig machte. Sie schien sich ihrer Schönheit gar
nicht bewusst zu sein. Andere Mädchen mit ihrem Potenzial hätten sich
stundenlang unter intensiver Inanspruchnahme ihres Schminkkoffers herausgeputzt,
sie hätten ihre Haare zu tollen Frisuren aufgetürmt und sich mit Klamotten
ausstaffiert, die ihre perfekte Figur betonten. Sie hätten Highheels getragen
und den Männern mit ihren langen, schlanken Beinen den Kopf verdreht. Nicht so
Magdalena. Sie trug zwar auch modische, wenn auch ein wenig schlichte
Klamotten. Ansonsten aber schien ihr Äußeres sie nicht sonderlich zu
interessieren. Aber gerade diese Mischung aus klassischer Schönheit und
Mauerblümchen war es, die Adrian so anziehend fand. Ja, insgeheim hatte er sich
immer gewünscht, sie mal ein wenig näher kennen zu lernen. Aber er hatte nicht
gewusst, wie er sie ansprechen sollte, sie schien an allen Mitmenschen so
völlig desinteressiert. Außerdem hätte er sich zum Gespött seiner Mitschüler
gemacht, und das hatte er auf keinen Fall riskieren wollen. Heute aber hatte er
die Gelegenheit gesehen, sie anzusprechen, als sie so in Tränen aufgelöst aus
dem Klassenraum gestürzt war. Ewig hatte er am hinteren Schulausgang auf sie
gewartet, weil er wusste, dass sie diesen Weg einschlagen würde, wenn sie nach
Hause wollte.
„Du bist ein seltsamer Mensch,
Lena“, sagte Adrian.
Magdalena überlegte, ob sie
angesichts dieser Bemerkung beleidigt sein sollte, aber irgendwas in Adrian
Gesichtsausdruck sagte ihr, dass sie nicht beleidigend gemeint gewesen war.
„Also“, sagte sie, nicht weiter auf das soeben Gehörte eingehend, und zog ihre
Klausur aus ihrer Tasche hervor, „hier ist sie. Kannst sie lesen, wenn du
willst.“
Adrian legte die Klausur vor sich
auf den Tisch und begann zu lesen. Die Kellnerin brachte den Capuccino, doch
das nahm er kaum war. Je weiter er im Text vorankam, desto erstaunter wurde
sein Gesichtsausdruck. „Lena, ich habe so was noch nie gelesen“, sagte er,
nachdem er geendet hatte. „Wie machst du das?“
„Wie mache ich was?“
„Na, das hier.“ Adrian nahm die
Zettel und wedelte damit vor ihrer Nase herum. „Das ist genial, Lena, einfach
genial. Mein Gott, ich wünschte, ich könnte mich auch nur halb so gut
ausdrücken wie du. Und dann der Inhalt ... soll das eine Doktorarbeit sein,
oder was?“
„Es ist nur eine Vier, Adrian. So
genial kann es also gar nicht sein.“
“Quatsch, Vier. Die spinnt, die
Ravensburger. Möchte mal wissen, was in sie gefahren ist. Na ja ...“, grinste Adrian
und schaute Lena von oben bis unten an, redete aber nicht weiter.
„Na ja was?“
„Ich meine, guck sie dir an. Sie
hat ein so nichtssagendes Äußeres, dass es schon fast an ein Wunder grenzt,
wenn sie überhaupt wahrgenommen wird.“
„Meinst du?“ Magdalena runzelte
die Stirn. Sie hatte sich noch nie Gedanken darüber gemacht, wie Sybille
Ravensburger aussah.
Adrian klopfte sich mit der Hand
vor die Stirn. „Hallo, Lena! Vermutlich ist sie jedes Mal total neidisch, wenn
sie dich auch nur anguckt.“
„Wenn sie mich anguckt? Warum das
denn?“ Magdalenas Augen wurden immer größer.
„Du bist eine Schönheit, Lena.
Hat dir das noch keiner gesagt?“ Adrian sah sie ungläubig an.
Magdalena schwieg. Sie dachte an
Raffael, der sie auch immer meine Schönheit nannte. Aber war sie das
wirklich?
„Ich glaube es nicht“, rief Adrian
und brach in ein herzliches Gelächter aus, „vor mir sitzt die schönste Frau von
ganz Emden, ach, was sage ich, von ganz Ostfriesland, und weiß es nicht ein
mal. Du bist seltsam Lena, wirklich seltsam.“
Da Magdalena auch jetzt nicht
wusste, was sie darauf erwidern sollte, behielt sie ihr Schweigen bei.
„An deiner Stelle würde ich mit
dieser Arbeit zum Direktor gehen“, sagte Adrian, nun wieder ernst. „Der soll sie
sich durchlesen und der Ravensburger dann einen Einlauf verpassen.“
„Meinst du?“, fragte Magdalena
zweifelnd. Sie wollte ungern eine Petze sein.
„Klar. Dass sich Lehrer mal in
der Benotung verhauen, geschenkt. Aber das hier“, wieder wedelte er mit der
Klausur herum, „das ist Schikane. Ja, reine Boshaftigkeit ist das.“
„Ich werde darüber nachdenken“,
sagte Magdalena schwach.
„Ich kann dir meine Klausur zum
Vergleich mitgeben, weil die“,
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