Lustakkorde - Ostfrieslandkrimi (German Edition)
er sich vor, ergriff bereits von ihrem Hinterkopf Besitz, und es
würde nicht mehr lange dauern, bis vor ihren Augen ein Flimmern einsetzen würde.
Migräne. Magdalena kannte diesen furchtbaren Schmerz, seit sie in die Schule
gekommen war. Immer wieder wurde sie von einem Moment auf den anderen von ihm
heimgesucht. Ihre Eltern waren mit ihr von Pontius zu Pilatus gelaufen, aber
kein Arzt hatte ihr helfen können. Schließlich waren sie bei einer
Heilpraktikerin gelandet. Doch diese hatte sie und ihre Eltern nur mit
kritischem Blick gemustert und dann behauptet, dass organisch alles in Ordnung
sei. Vielmehr sei das Problem psychosomatischer Natur. Die Heilpraktikerin hatte
ihren Eltern ans Herz gelegt, Magdalena einer verbindlichen Therapie
zuzuführen, das Kind scheine mächtig unter Druck zu stehen. Das, und nur das
ganz alleine, sei der Grund für ihre Schmerzattacken. Sie sei aber
zuversichtlich, dass ein erfahrener Therapeut die Ursache herausfinden und
Magdalenas Leid damit beenden könne. Selten hatte Magdalena ihren Vater so
dermaßen ausrasten sehen, wie in diesem Augenblick. Heftig nach Luft schnappend
war er aufgesprungen, hatte mit spitzem Finger auf die Heilpraktikerin gezeigt
und sie in unflätiger Weise beschimpft. Magdalena hatte vor Angst gezittert und
sich in ihrem Stuhl ganz klein gemacht, denn sie kannte diese Ausbrüche ihres
Vaters nur zu gut. Was also würde passieren, wenn ihm auch hier die Hand
ausrutschte, wie es so häufig schon zuhause geschehen war, wenn er sich mal
wieder über die Ungezogenheit seiner Tochter hatte ärgern müssen? Sie ganz
alleine wäre schuld, wenn ihr Vater gegenüber der Heilpraktikerin handgreiflich
würde. Denn schließlich waren ihre Eltern doch nur wegen ihr, Magdalena, in
diese unangenehme Situation geraten. Hätte sie nicht ständig über diese
furchtbaren Kopfschmerzen geklagt, wäre ihren Eltern das hier alles erspart geblieben.
Von diesem Moment an hatte sie
sich vorgenommen, gegenüber ihren Eltern nie wieder ein Wort über ihre Migräne
zu verlieren. Lieber würde sie die Schmerzattacken stumm ertragen, als dass
ihre Mutter und ihr Vater nochmals gezwungen sein würden, sich nur wegen ihr nervlich
dermaßen aufreiben zu müssen. Und so war es seither gewesen. Immer, wenn
Magdalena spürte, dass eine Migräne im Anmarsch war, hatte sie sich mit der
Begründung, noch lernen zu müssen, in ihr Zimmer zurückgezogen. Ihr Vater hatte
ihr dann vor einigen Monaten beim Abendessen zugenickt. „Mein liebes Kind“,
hatte er mit einem zufriedenen Lächeln gesagt, „mir scheint, dass du deine
Migräne überwunden hast. Bereits seit Wochen hattest du keinen Anfall mehr. Das
stimmt mich sehr glücklich, zeigt es doch, dass ich mit meiner Vermutung, das
sei nur eine vorübergehende Geschichte, die sich irgendwann auswachsen würde,
recht gehabt habe.“
„Du siehst blass aus, Kind“,
sagte Katharina in ihre Gedanken hinein und klang ehrlich besorgt.
„Nein, nein, es geht schon“,
stieß Magdalena schnell hervor. „Was ...“
„Du willst wissen, warum genau
ich hier bin?“, schnitt Katharina ihr das Wort ab. „Nun, mir ist zu Ohren
gekommen, dass du, nun, sagen wir mal, ein etwas, hm, sexuell ausgelastetes
Leben führst.“
Magdalena glaubte in diesem
Moment, ihr Kopf müsse zerspringen. Es war, als habe ihr jemand eine Kugel ins
Hirn gejagt, die jetzt in rasender Geschwindigkeit von einer Hirnwindung zur
nächsten raste. „Das ist ... nein, wer behauptet das?“, stieß sie keuchend
hervor.
„Mein Sohn. Du kennst ihn ja.
Pastor Jonathan Eckstein. Ich habe gestern mit ihm zusammengesessen. Er ist
ziemlich mit den Nerven runter, wegen Raffael. Er meint, nun, er meint, du seiest
an allem Schuld.“
„An allem Schuld?“ Magdalenas
Stimme war nur noch ein Flüstern. Das Flimmern vor ihren Augen wurde stärker. Genau
genommen sah sie nur noch kleine schwarze Blitze. Sie konnte ihr Gegenüber kaum
noch erkennen.
„Er sagt, du hast Raffael den
Kopf verdreht. Er sagt, dass du nur mit ihm gespielt hast. Weil du mit allen
nur spielst. Weil du so tust, als wärest du eine Heilige. Vielmehr aber seiest
du wie eine Spinne, die ihr Netz webe, um darin ihre Opfer zu fangen. Und eines
dieser Opfer sei Raffael Winter gewesen. Du hättest ihn in deinem Netz gefangen
und ihn nach vollbrachter Kopulation umgebracht. Genauso würdest du es mit
allen anderen Männern tun. Ja, Jonathan sagt, du seiest ein Sexmonster, das
keine Gnade kenne.“
„Warum sagen Sie so
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