Lustnächte
Sarkasmus. Pierre schien gegen so etwas allerdings vollkommen immun.
„Gern. Ich besorg uns nachher welche. Man kann sie wunderbar in Cidre …“
Sie knallte die Faust auf den Küchentisch. Und von diesem Halbwilden hatte sie tatsächlich geträumt? Sie musste doch völlig verblödet sein. Ihre Augen schossen Blitze, doch bevor sie tief genug Luft holen konnte, um ihm zu sagen, was sie von ihm und seinen Essgewohnheiten hielt, flötete er mit samtweicher Stimme: „Wenn ich es recht bedenke, hätte ich doch viel lieber ein Gemüsesüppchen.“ Er zwinkerte ihr mit seinen strahlend blauen Augen verschwörerisch zu und sie vergaß, was sie gerade hatte sagen wollen.
„Faden verloren?“
Der Kerl machte sich über sie lustig.
„Keineswegs“, log sie. „Und ich möchte keine toten Tiere in deiner Gemüsesuppe finden. Vielleicht wäre es sowieso besser, wenn ich das selbst in die Hand nehme.“
„Ich bin hocherfreut“, murmelte Pierre. Damit hatte er ohne Zweifel ein Eigentor geschossen. Das war dann der dritte Tag ohne anständiges Essen.
„Unten im Ort gibt es ein wirklich nettes Restaurant“, wagte er einen letzten Versuch, um sich vor der Gemüsesuppe zu retten.
„Nein danke. Ich möchte nicht wissen, was dort in der Küche vor sich geht.“
Er hätte ihr antworten können, dass man dort täglich Hummer abschlachtete und die Austern gleich lebend serviert wurden. Aber er schwieg in weiser Voraussicht.
Es gab zwei Möglichkeiten. Entweder konnte er Beatrix vor die Tür setzen oder aber in kürzester Zeit an Unterernährung sterben. Er entschied sich ziemlich rasch für den Hungertod. Nicht zuletzt deshalb, weil sie vorhin so hübsch rot angelaufen war, als er gefragt hatte, ob sie schön geträumt hätte. Gewiss hatte sein Geplänkel vom Vorabend sie gründlich inspiriert. Die Sache kam also endlich ins Laufen. Wenigstens das lief nach Plan.
„Jean-Luc wird nicht vor dem Abend zurück sein. Was hältst du davon, wenn wir uns die Abtei von Landevénnec ansehen? Ich zeige dir, wo ich das Pergament gefunden habe. Wie wär’s?“
„Gute Idee. Sobald ich mit der Gemüsesuppe fertig bin. Du kannst deinen Freund gern dazu einladen“, sagte sie großzügig.
„Ich bin sicher, Jean-Luc wird außer sich sein vor Freude“, murmelte er.
Das ursprüngliche Kloster, eine keltische Gründung aus der Wendevom fünften zum sechsten Jahrhundert, lag auf der Halbinsel Crozon, auf der Südseite der Rade de Brest.
„Die ursprünglichen Bauten standen hier bis zur Französischen Revolution. Dann wurden sie zu einer Quelle für Baumaterial für die umliegenden Dörfer. Dort oben ist das neue Kloster. Es wurde 1950 von den Benediktinern von Kerbeneat gebaut.“ Er zeigte auf einen einfachen, soliden Bau auf der Anhöhe über den Ruinen des alten Klosters. „Sie sind bis heute seeseitig nicht fertig geworden. Aber das lässt ihnen den freien Blick auf die Reede.“
„Es ist wunderschön hier“, hauchte Beatrix.
Pierre war weniger romantisch veranlagt.
„Meinst du diesen Betonkasten ohne irgendwelche architektonisch markanten Akzente?“
„Ich meine nicht das neue Kloster, sondern die ganze Umgebung.“
Er musste zugeben, dass die Mönche es wirklich verstanden hatten, ihr Terrain zu gestalten. Apfelbäume, Rhododendron und Azaleen gruppierten sich gemeinsam mit dem Blau des Meeres zu einem regelrechten Garten Eden.
„Das ist alles für die Touristen. Jemand muss ja ihren Klingelbeutel füllen“, sagte er. Das Arrangement beeindruckte ihn wenig.
„Zu diesem Zweck renovieren sie auch eifrig die Ruinen. Deshalb war ich hier, um zu vermessen. 1958 hat man mit archäologischen Ausgrabungen begonnen. Gleich danach begannen sie mit der Restaurierung. Das da hinten ist ihr Museum.“ Er zeigte auf ein niedriges Gebäude mit einem gläsernen Vorbau.
„Wir können es uns später ansehen. Komm.“ Er nahm sie bei der Hand und zog sie hinunter zu den Ruinen. Pierre, der Architekt, war ganz in seinem Element. Begeistert erläuterte er Beatrix, wie dieses Bauwerk sich im Laufe der Jahrhunderte ständig verändert hatte. Er schielte zu ihr hinüber. Interessierte es sie? Eindeutig. Sie konnte sich also genauso für alte Gemäuer begeistern wie er.
„Leider haben die Wikinger alles geplündert und dann gründlich niedergebrannt. Deshalb ist aus der ersten Bauphase nicht mehr allzu viel übrig. Die Mönche mussten fliehen, kehrten aber nach der Rückeroberung ziemlich schnell zurück und bauten als erstes die
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