Lustnächte
Geliebte versorgt wissen oder konnte er die Liegenschaften als Pfarrer nicht auf seinen Namen eintragen lassen? Wie auch immer. Zwischen beiden muss Einvernehmen geherrscht haben. Marie war in seine Erpressungen – ich gehe inzwischen fest davon aus, dass es sich um solche handelte – eingeweiht. Beide lebten recht gut davon. Nun kommt etwas, das mir nicht ganz logisch erscheint. Saunière starb 1917. Aber erst 1946 verkauft Marie das Haus und die Grundstücke an Noel Corbu. Dazwischen liegen neunundzwanzig Jahre. Wieso war sie erst da so mittellos, dass sie sich von ihren Besitztümern trennen musste? Wenn sie Saunières Geheimnis kannte, war sie in der Lage, die Erpressungen weiterzuführen und hätte nichts verkaufen müssen. War sie aber nicht in dessen Besitz, womit hielt sie sich dann fast dreißig Jahre über Wasser? Hatte der Abbé Bargeld hinterlassen oder irgendwo sicher angelegt? Ging es etwa im Krieg verloren?“
„Im Krieg?“ Pierre unterbrach abrupt seine Liebkosungen und starrte sie an.
„Aber ja. Der Zweite Weltkrieg dauerte bis 1945. 1946 verkauft Marie alles. Was ist damals passiert?“
„Eine gute Frage“, sagte er sichtlich verblüfft. „Vielleicht kann uns Madame Junot in dieser Sache weiterhelfen. Wir werden sie fragen. Darüber hinaus bin ich der Meinung, wir sollten de Sède, Plantard und wie sie alle heißen, komplett aus unseren Überlegungen streichen. Ihre Theorien klingen zu sehr nach Werbung für Rennes-le-Château. Und damit sind auch alle Theorien vom Tisch, die andere aus diesen Fakten gemacht haben.“
„Aber, du hast doch Jean-Luc beauftragt …“
„Wir werden sehen, was er zutage fördert. Bis dahin schlage ich vor, sammeln wir Fakten, unterhalten uns mit Zeitzeugen, sofern noch welche aufzutreiben sind, und machen uns ausschließlich unsere eigenen Gedanken. Und jetzt lass uns zu Saunières Museum gehen.“
Sie betraten das ehemalige Pfarrhaus – natürlich gegen ein weiteres Eintrittsgeld. Der Raum auf der linken Seite des schmalen Flurs zeigte die ehemalige Küche des Pfarrers. Mithilfe zweier lebensgroßer Puppen, die Saunière und seine Haushälterin darstellten, hatte man eine Alltagsszene nachgestellt. Beatrix war begeistert, während Pierre eher lustlos das kitschige Arrangement musterte. Sichtlich mehr Interesse schien er dem gegenüberliegenden Raum entgegenzubringen. Dort waren wertvolle Bücher in Glasvitrinen ausgestellt. Eingehend studierte er die aufgeschlagenen Seiten. Er schien nach etwas zu suchen. Fündig wurde er aber erst in einem der beiden oberen Räume, die man vom Flur aus über eine schmale Treppe erreichte.
„Da ist es ja“, murmelte er.
Sie waren allein im Museum, doch was er jetzt tat, schockierte Beatrix weitaus mehr als sein Übergriff beim letzten Museumsbesuch.
„Stell dich an die Tür und sag mir, wenn jemand das Haus betritt.“
Er streifte ein paar dünne Gummihandschuhe über die Finger.
„Was hast du vor?“ Beatrix hätte nicht fragen müssen, denn er hatte bereits einen Dietrich aus der Tasche gezogen und machte sich am Schloss einer der Vitrinen zu schaffen.
„Nichts. Pass einfach auf, dass uns niemand erwischt.“
„Wobei erwischt? Du willst doch nicht etwas stehlen? Hör sofort auf damit!“
„Das ist Saunières Tagebuch. Und ich habe nicht vor, es mitzunehmen. Ich seh es mir nur an. Und du passt einfach auf, ob jemand kommt.“
„Wir werden deinetwegen noch im Gefängnis landen.“
Wie konnte er nur?
„Nur keine Panik, mein Engel.“
Beatrix hörte das leise Knacken des Schlosses. Pierre hob den Deckel der Vitrine an. Vorsichtig nahm er das Tagebuch heraus, holte eine handliche Kamera aus der Tasche und begann, schnell und präzise sämtliche Seiten zu fotografieren. Ihr Verdacht verstärkte sich, dass er genau das vorgehabt hatte. Warum sonst dieseAusrüstung? Und außerdem hatte er das Schloss wie ein Einbruchsprofi geknackt. So viel also zu Pierres Ehrlichkeit. Ängstlich stand sie im Türrahmen und erwartete, jeden Moment Schritte im Erdgeschoss zu hören. Sie fühlte schon den kalten Stahl von Handschellen um ihre Handgelenke. Das konnte nicht gutgehen. Sie würde den Rest ihres Urlaubs hinter Gittern verbringen. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie hörte, dass Pierre das Buch zurücklegte und die Lade wieder verschloss.
„Oh, zittern wir etwa?“ Er stand hinter ihr, sichtlich zufrieden und machte sich schon wieder über sie lustig.
Sie schnaubte. „Du bist nicht nur ein Lügner, du
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